TikTok und der Unterschied zu anderen Plattformen
Dass Social Media heute eine große Rolle spielt, wenn es um Marketing und Werbung von den unterschiedlichsten Produkten geht, ist nichts Neues mehr. Youtube, Facebook und Instagram gehören mittlerweile schon seit über 10 Jahren zu den populärsten Plattformen. Doch vor einiger Zeit ist eine neue Plattform aufgetaucht – TikTok, damals noch unter dem Namen Musical.ly. Vermutlich hätte zu Beginn niemand erwartet, dass diese „Comedy“-App, die eher für eine jüngere Zielgruppe zu sein scheint, 2022 nur knapp nach Instagram die App mit den zweitmeisten Downloads im App-Store sowie im Google Play-Store ist. Der große Unterschied zu den bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Social Media Plattformen: Statt Text-, Foto- und Video-Posts werden kurze Lip-Sync- und Tanzvideos gepostet.
Im Grunde also keine große Überraschung, dass Künstler*innen TikTok bald als Möglichkeit erkennen, um ihre Musik zu promoten. Auf TikTok dient der Sound des Videos nicht nur als Hintergrundmusik, sondern ist eigentlich die Basis des ganzen TikToks. So entsteht schnell ein eigener Trend zu einem ganz bestimmten Sound. Wenn sich zum Beispiel eine Person eine kurze Choreografie zu einem Lied ausgedacht hat, kann man sich mit einem Klick auf den Sound alle anderen Videos, welche den exakt gleichen Sound verwenden, anschauen, mit nur einem weiteren Klick auf „Sound benutzen“ sein eigenes TikTok aufnehmen und somit selbst Teil des Trends werden.
Warum Songs immer kürzer werden
Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Songwriter*innen überhaupt wirklich für ihre Musik wertgeschätzt werden, wenn ein Song zum Trend wird. Die künstlerische Bedeutung der Musik geht schließlich verloren, wenn der Song bei den meisten TikToks gar nicht im Mittelpunkt steht oder man weder weiß, von wem der Song ist, noch wie er heißt. Im Radio erkennt man ihn erst, wenn die von TikTok bekannten 15 Sekunden zu hören sind, die man dann aber perfekt mitsingen kann.
Insgesamt ist bereits länger zu beobachten, wie die Digitalisierung die Musikbranche verändert. In den 60ern ging es noch darum, die vollen vier bis fünf Minuten Spielzeit einer Single-Schallplatte zu füllen. In den 70ern gab es dann die Maxi-Single mit bis zu 16 Minuten pro Seite und spätestens in den 80er-Jahren wurden längere Songs auch durch die CD populärer. Doch seit Musik hauptsächlich auf Streamingplattformen konsumiert wird und nicht mehr die verkauften Tonträger, sondern die Anzahl der Streams ausschlaggebend sind, werden die Songs wieder kürzer. Das liegt unter anderem daran, dass auf Spotify ein Song nur 30 Sekunden gehört werden muss, damit er als Stream gezählt wird.
Ausschlaggebend ist also nicht die Länge, sondern nur, wie oft er gestreamt wurde. Wieso sollte man also einen vierminütigen Song produzieren, wenn man stattdessen einfach zwei deutlich kürzere veröffentlichen und damit doppelt so viel Profit machen kann? Vor allem ist dies bei Rap- und Popmusik zu beobachten. Achtet man bei der Deutschrap-Playlist „Modus Mio“ von Spotify auf die Länge der Songs, fällt schnell auf, dass mehr als die Hälfte der Tracks kürzer als 2:45 Minuten sind.
Eigentlich sind 30 Sekunden, die im Fokus stehen, schon durchaus wenig, aber die noch kürzere Dauer eines TikToks hat ebenso Auswirkungen auf die Entwicklung neuer Songs. Auch die Influencerin Bella Poarch scheint durchschaut zu haben, dass es auf TikTok darum geht, dass 15 bis 20 Sekunden gut ankommen müssen.
Die selbst durch ein TikTok bekannt gewordene Sängerin veröffentlicht heute Popmusik, die perfekt für die sozialen Medien geeignet ist: Der Rhythmus steht im Vordergrund, um in TikTok-Videos gut dazu tanzen zu können. Außerdem enden alle Einzelsequenzen auf einem Grundton, damit sich der Song gut zerlegen lässt, um TikToks dazu aufzunehmen, bei denen der Sound nicht abrupt endet, sondern genau perfekt mit dem Ende des Videos abschließt.
Über Nacht zum Star werden – Viral gehen auf TikTok
Ein weiterer Unterschied zu anderen Plattformen: Auf TikTok wird häufig davon gesprochen, viral zu gehen. Denn der Algorithmus der App ermöglicht es Creator*innen, hohe Aufrufzahlen zu generieren, ohne dass sie zuvor eine große Reichweite hatten. Natürlich kann man sich dies auf verschiedene Weisen zu Nutze machen. So bauen sich beispielsweise viele Influencerinnen vergleichsweise schnell auf TikTok eine Reichweite auf und werden dann auch auf anderen Plattformen aktiv, auf denen es normalerweise schwieriger ist und länger dauert, so viele Followerinnen für sich zu gewinnen. Doch das verläuft auch nicht immer nach Plan. Oft ist es auch einfach Zufall, welche Videos viral gehen und die Creatorinnen können genauso überrascht werden wie die anderen Userinnen der App.
Beispielsweise postete die Band Giant Rooks im März 2022 ein TikTok mit einem Ausschnitt des Covers „Tom’s Diner“, das sie bereits 2019 gemeinsam mit der Band AnnenMayKantereit auf Youtube hochgeladen haben. Innerhalb kurzer Zeit ging das TikTok viral und der Song erhielt viel mehr Aufmerksamkeit als damals zum ursprünglichen Release.
Das TikTok hat momentan nach drei Monaten 115 Millionen Views, doppelt so viele wie das bereits drei Jahre alte Youtube-Video. „Plötzlich waren wir in den USA in den Charts, in Neuseeland im Radio und sind gefühlt jeder dritte TikTok Sound“, schreibt die Band AnnenMayKantereit in ihrem Newsletter
Algorithmus statt Management – Interview mit Pablo Brooks
Abgesehen von Musiker*innen, die mehr oder weniger zufällig von TikTok profitieren, weil ein Video mit ihrem Song über Nacht viral ging und plötzlich zum neuen Trend geworden ist, nutzen immer mehr Künstler*innen TikTok, um aktiv auf ihre Musik aufmerksam zu machen und neue Zuhörer*innen für sich zu gewinnen.
Der Musiker Pablo Brooks postet zwar auch Videos von seinen Songs oder Konzerten, in seinen erfolgreicheren TikToks versucht er allerdings auf eine unterhaltsame Art und mit lustigen Argumenten, die Zuschauer*innen dazu aufzufordern, seine Musik zu streamen oder zu seinen Konzerten zu kommen. Auf diese Weise hat er vor einem Jahr angefangen, auf TikTok seine Musik zu promoten. Er konnte dem Publizissimus ein paar Fragen über seine Erfahrungen beantworten.
Er selbst glaubt, dass TikTok und der Erfolg der Plattform von Authentizität lebe, und versucht das auch in seinen Videos beizubehalten. Genau damit hat er auch Erfolg, sein erfolgreichstes TikTok hat 1,9 Millionen Aufrufe. Er sagt, dass sich durch dieses Video seine Follower- und Stream-Zahlen verzehnfacht haben. Außerdem wurden auch einige Labels und Verläge auf ihn aufmerksam.
Der TikTok-Algorithmus erkennt schnell, was einem gefällt, natürlich auch bei Musik. So werden einem Bands und Musiker*innen vorgeschlagen, die den eigenen Geschmack sehr gut treffen, aber vielleicht noch nicht so bekannt sind, dass sie einem in einer Spotify-Playlist begegnen. Doch so gut der Algorithmus erkennen mag, was einem gefällt, oft ist es auch Zufall, was für Videos einem auf die „For You“- Page gespült werden.
Auch Pablo Brooks findet es schade, dass es oft Zufall ist, was mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Er sagt: „Sehr viele Videos, die ich inhaltlich besser fand als mein meist angeschautestes Video, wurden weniger vom Algorithmus gepusht“. Ihm gefällt an der Promotion durch TikTok vor allem der direkte Kontakt mit seinen Zuhörer*innen und dass keine dritte Partei involviert ist, wie es normalerweise bei Musikpromotion der Fall ist. Insgesamt ist TikTok somit für Newcomer*innen sehr gut geeignet, um sich selbst eine Reichweite aufzubauen und ins Musik-Business einzusteigen.
Die Musikbranche ist im ständigen Wandel, und TikTok wird vermutlich auch in Zukunft weiter dazu beitragen, dass sich einiges ändert. Es ist schwer zu sagen, ob TikTok eher ein Fluch oder Segen für die Musikbranche ist. Einige Veränderungen werden negativ aufgefasst, wie die Verkürzung von Songs und der Fokus auf den für TikTok-Videos geeigneten Refrain. Die positiven Auswirkungen werden jedoch oft vergessen; vor allem für die Künstler*innen selbst ist TikTok die perfekte Plattform, um sich selbst zu vermarkten und sich ohne Label eine Reichweite aufzubauen. Aber auch Pablo Brooks sieht TikTok hier eher als Mittel zum Zweck. Die Frage, was er wählen würde, wenn er sich zwischen TikTok-Fame und live spielen entscheiden müsste, beantwortet er schnell: „Ich würde immer zweiteres wählen, live spielen ist für mich die Nummer eins. Ich würde lieber mein Musikerleben so leben, wie ich es jetzt lebe“.