„Leistungssport ist das Ziel“
Leistungssport per Definition ist Sport mit dem Ziel, hohe Leistungen zu erreichen. Ob in der Bundesliga, Olympia oder bei Weltmeisterschaften, der Erfolg im Wettkampf steht im Vordergrund. Doch vor allem eine Karriere im Leistungssport benötigt viel Arbeit. Einen Einblick, wie genau ein solcher Werdegang aussehen kann, ermöglichte dem Publizissimus Volleyball Coach Benjamin Corts, der als Lehrer- und A-Lizenz-Trainer junge Volleyballtalente trainiert und begleitet.
Zum Einstieg würde ich Sie gerne fragen, wie der Weg für die meisten Sportlerinnen im VCW in den Leistungssport aussieht?
Also, erst mal muss man sagen, dass es ein Prozess ist. Wir sichten die Kinder in den Grundschulen und bieten dort dann die Möglichkeit an, in die Talentförderung einzusteigen. Von der Talentförderung geht dann der Weg in den Verein und für die talentiertesten Kinder in die Sportklassen.
Am Anfang ist es natürlich kein Leistungssport, den wir machen. Wenn wir mit Dritt- oder Viertklässlern trainieren, dann steht da ganz viel Spaß und die Freude an der Bewegung und ein sehr kindgerechtes Training im Vordergrund.
Gibt es Ihrer Meinung nach ein bevorzugtes Alter für den Einstieg in den Leistungssport oder funktioniert dieser auch später im Leben noch?
Auf jeden Fall. Es gibt immer Quereinsteiger, die aus anderen Sportarten kommen und dann im Volleyball auch sehr, sehr erfolgreich sein können. Dieser Talent-Transfer, der Quereinstieg, ist meistens dann möglich, wenn man vorher eben schon auch eine leistungsorientierte Sportart betrieben hat.
Welche Bedingungen und Ansprüche erwarten einen während des Weges in den Leistungssport und dem sportlichen Werdegang?
Beim Volleyball unterscheidet man immer grob zwischen Talent und Wille. Ein Talent ist jemand, der erst mal die körperlichen Voraussetzungen hat. Das allein reicht jedoch nicht. Ein entscheidender Faktor ist der Bereich der Psyche und Willen, also Lern- und Leistungseinstellungen. Wenn man Leistungssport betreibt, dann ist der innere Antrieb natürlich immer die Freude an der Sportart. Aber Leistungssport ist nicht immer Spaß und schön. Es gibt Tage und Trainingseinheiten, die sind intensiv, und da muss man große Motivation aufweisen. Bei den Jüngeren ist dort auf jeden Fall auch das Elternhaus mitentscheidend.
Als Lehrertrainer sind Sie ja unter anderem Teil der Schnittstelle und Kooperation zwischen Schule und Verein, in diesem Fall der Elly-Heuss-Schule und des VCWs. Wie funktioniert diese Kooperation und wie hilft die den Spielerinnen?
Der dritte Partner in dieser Kooperation, den man erwähnen muss, ist der hessische Volleyballverband sowie die hauptamtlichen Landestrainer und seit Januar 2022 jetzt auch der deutsche Volleyballverband. In dieser Verzahnung mit dem hessischen Landestrainer vom hessischen Volleyballverband, mit den Lehrertrainern der EHS und den Vereinstrainern des VCW haben wir hier wirklich sehr, sehr gute Fördermöglichkeiten im weiblichen Bereich. Es gibt viele Synergien, die wir nutzen. Im Bereich des Vormittagstrainings sind wir Lehrertrainer natürlich federführend. Außerdem haben die Spielerinnen ganz kurze Wege von der Schule zur Halle sowie einen guten Kraftraum. Dadurch können wir sehr gut Ball- und Athletiktraining miteinander verbinden.
Wie oft sind die Sportlerinnen denn im Training oder auf Turnieren?
Das fängt klein an mit zweimal die Woche Training. Ab der fünften Klasse sind es dann vier Spieleinheiten in der Woche, und ab der sechsten Klasse sind es fünf. Ab der achten Klasse kommt dann noch eine weitere Einheit am Nachmittag. Dazu kommen die Landesauswahl-Maßnahmen, da gibts dann diverse, übers Jahr verteilte Lehrgangsmaßnahmen, meistens in den Ferien. Auch die Wettkämpfe steigen an. Die fangen an mit acht bis zehn Terminen im Jahr und steigen dann mit regelmäßigen Spieltagen plus Auswahllehrgängen und Meisterschaften an. Beim Volleyball geht die Saison für die Leistungssportler*innen im Nachwuchsbereich von September bis Juni.
Sie hatten zuvor das Elternhaus erwähnt, welchen Einfluss können denn die Eltern oder das allgemeine soziale Umfeld auf den sportlichen Werdegang haben?
Also, beim Einstieg ist klar, die Eltern müssen die Kinder zum Training bringen, die können nicht allein kommen. Und auch im Bereich der Jugendlichen sind die Eltern natürlich immer noch als Erziehungsberechtigte ganz entscheidend. Auch bei der Bewältigung der dualen Karriere zwischen der Schule und des Leistungssports brauchen die Kinder und Jugendlichen Unterstützung. Je älter sie werden, desto größeren Einfluss hat nachher auch die Peer-Group. Und je positiver diese ist, desto besser natürlich.
Gibt es denn außer der Peer-Group noch weitere Herausforderungen oder persönliche Verantwortung, die den Sportlerinnen den Leistungssport erschweren?
Ja, sicherlich. Diese duale Karriere, die ich angesprochen hatte, ist grundsätzlich ein Weg, der sehr anspruchsvoll ist. Hier wird neben einer Schulausbildung, Ausbildung oder einem Studium ein sehr hohes Maß an Investitionen im zeitlichen und auch körperlichen Bereich benötigt. Es gibt in der Schule oder dann natürlich auch übertragbar auf die Uni oder auf die Ausbildung immer Phasen, die sehr intensiv sind. Und im Sport ist es ähnlich. Die hohe Kunst ist es, dass sich diese Wellen nicht überlagern. Es ist wichtig, dass es Phasen gibt, wo man regenerieren und sich erholen kann. Ein Bereich, der immer entscheidender ist, ist die mentale Gesundheit. Wir versuchen auch im mentalen Bereich mit den Spielerinnen zu arbeiten, unter anderem durch Kooperation mit den Sportpsychologen des Landessportbunds Hessen. Gerade während des Lockdowns durch Corona haben wir sehr an einer stimmigen, mentalen Work-Life-Balance gearbeitet.
Wäre es Ihnen möglich, uns ein wenig Einsicht darin zu geben, wie der sportliche Werdegang für viele nach dem schulischen Abschluss weiter geht, wenn überhaupt?
Die erste große Gelenkstelle ist während der siebten oder achten Klasse während des Überganges zum Leistungssport. Und die Zweite ist ganz klar nach oder im Bereich rund um den Schulabschluss. Mit dem Eintritt in die Oberstufe wird noch mal ganz genau geschaut, wer wirklich bereit ist für diesen Leistungssport. Und dann ist es selbstverständlich: Mit Ende der Schullaufbahn beginnt ein ganz entscheidender Lebensabschnitt, wo sich auch viele eventuell umorientieren. Da sind wir am Standort jetzt dabei, dass wir den Spielerinnen im Bereich der Karriereplanung beistehen und aufzeigen wollen, was für Möglichkeiten sie haben, auch nach Schulende weiter ihren Leistungssport auszuüben. Das heißt, wir wollen diese duale Karriere fortführen.
Kann man denn als Spielerin damit rechnen, Volleyball als bezahlte Berufung zu übernehmen und wenn ja, ab wann?
Da ist Volleyball natürlich nicht die ideale Sportart. Im Fußball kann man gut davon leben, in der Zweiten Bundesliga oder in der Regionalliga zu spielen. Bei uns am Standort gibt es in der Zweiten Bundesliga kein Geld. In der ersten Liga schon, das sind dann Profis, die aber in der Regel nebenbei auch noch studieren. Man kann schon gut davon leben, weil auch viel gestellt wird, wie zum Beispiel eine Wohnung oder ein Auto. Dafür ist das Gehalt eben nicht so hoch wie bei anderen Profisportarten wie Fußball oder Handball.
Bis zu welchem Alter kann gespielt werden? Wie sieht der Weg nach dem Leistungssport aus?
Das ist sehr individuell. Beim Volleyball der Frauen ist man mit Anfang beziehungsweise Mitte 20 eigentlich erst auf seinem Leistungshöhepunkt, da kann man schon bis Anfang 30 spielen. Wie es danach weitergeht, hängt ganz klar auch von den individuellen Fähigkeiten oder Neigungen ab. Da gibt es viele im Bereich Frauenvolleyball ab der ersten Liga, die dann zum Beispiel Co- oder Cheftrainerin werden, im Bereich Teammanagement arbeiten oder sich als Personal Trainer selbstständig machen. Es bleiben also einige im Sport, es gibt jedoch auch viele ehemalige Spielerinnen, die sich andere Beschäftigungen suchen. Aber prozentual kann ich das nicht fassen.
Abschließend würde ich Sie gerne fragen, wie Sie denn die Zukunft der Talentförderung und auch des Leistungssports allgemein sehen? Kommen große Herausforderungen oder vielleicht auch Erleichterungen auf den Leistungssport zu?
Das ist eine ganz große Debatte. Der Leistungssport in Deutschland, woran misst man den? An Medaillen? Dann sind wir bei den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften eher auf dem absteigenden Ast. Ich glaube, dass es durch die gesellschaftlichen Veränderungen immer weniger Kinder gibt, die sich viel bewegen und sportlich talentiert sind. Und Deutschland ist generell ja ein Land, wo es uns sehr gut geht und wo ein Spitzensport oder Profisportkarriere nicht in allen Sportarten lukrativ ist. Deshalb ist uns diese duale Karriere unheimlich wichtig, dass nicht nur auf Sport gesetzt wird, sondern eben auch auf eine fundierte schulische Ausbildung, Berufsausbildung oder ein Studium. Wobei man natürlich durch den Leistungssport auch unheimlich viel lernt. Softskills wie Organisation, Teamfähigkeit und das Übernehmen von Führungsaufgaben sind natürlich Lektionen, die ich als Leistungssportler erlerne. Unabhängig davon, ob ich nachher Profi werde oder nicht. Profi, das werden die allerwenigsten, aber alle nehmen auf dem Weg dorthin eben unheimlich viel mit, und das ist auch für die Persönlichkeitsentwicklung ein positiver Effekt.
Dann bedanke ich bei Ihnen für die Möglichkeit dieses Interviews.