Folgendes Szenario: Du sitzt seit zwei Stunden am Schreibtisch und musst eigentlich mal mit der Literaturrecherche für das gefühlt hundertachtzigste Referat anfangen, aber du legst einfach nicht los. Warum? Weil du am Handy klebst und dir die immer wieder ähnlichen Jodel, Urlaubsfotos, Rezepte und Bilder von Katzenbabys ansiehst. Dein Kopf drückt, Schuldgefühle schwappen über dich und während du das dritte Rezept speicherst, das du sowieso nie kochen wirst, fragt du dich: „Was mache ich eigentlich mit meinem Leben?“.
Wie Deutschlandfunk, aber auch die FAZ und viele andere Qualitätsmedien berichteten, ist während der Corona-Pandemie die Mediennutzungszeit in der allgemeinen Bevölkerung gestiegen. Genauso gibt es, wie eine Metaanalyse von über 104 Studien am Leibniz Institut in Mainz belegt, immer mehr Menschen, die seit Beginn der Pandemie psychisch stark belastet sind. Während du also scrollst und postest und auf „Gefällt mir“ drückst, fragst du dich vielleicht, ob dir das, was du da gerade machst, überhaupt guttut.
Über einen möglichen Zusammenhang zwischen unserer Mediennutzung und unserem Wohlbefinden ist schon viel diskutiert und geschrieben worden. Viele und auch renommierte Zeitungen formulieren vermehrt reißerische Headlines. “Macht uns das Smartphone krank?”, fragte zum Beispiel „DIE ZEIT“ im Jahr 2019. Es fällt auf: Oft konzentriert man sich hierbei (über)pathologisierend auf negative Wirkungen, während die positiven Effekte außer Acht gelassen werden. Das Scrolling von Social Media-Feeds wird im Allgemeinen zur Untugend. Wir nutzen Smartphones jeden Tag. Laut der ARD/ZDF-Online Umfrage ist unsere häufigste Tätigkeit auf Social Media das Scrollen und Anschauen von Inhalten. Sollten wir also nun in Panik verfallen? Nein. Um positiv zu bleiben, schauen wir uns in diesem Artikel an, wie wir unser Wohlbefinden durch die Nutzung sozialer Medien steigern können.
Dieser Diskurs wird auch schon seit längerem in der Forschung geführt. Dort interessiert man sich unter anderem dafür, ob die Art und Weise, wie wir soziale Medien nutzen, eine Auswirkung darauf hat, wie gut es uns bei der Nutzung geht. Kommunikationswissenschaftliche Forschung unterscheidet dabei zwischen der aktiven Nutzung von sozialen Medien und der passiven Nutzung. Unter aktiver Nutzung versteht man zum Beispiel Tätigkeiten wie das Posten von Beiträgen und Live gehen oder das sogenannte Liken von Posts. Passive Nutzung hingegen meint vor allem das Scrollen und Lesen von Posts, ohne auf diese aktiv zu reagieren.
In vielen Studien wird die aktive Nutzung sozialer Medien als förderlicher für unser Wohlbefinden eingestuft als die passive Nutzung. Allerdings können beide Arten positive Auswirkungen auf unser Wohlbefinden haben. Mehr dazu im Folgenden.
Wer aktiv ist, profitiert.
Einigen Studien zeigen auf, dass die aktive Nutzung sozialer Medien im Zusammenhang mit geringeren Symptomen von Angst und depressiver Stimmung steht. Beispielsweise zeigte das die Studie aus Island aus dem Jahre 2010, für die eine Bevölkerungsumfrage unter isländischen Jugendlichen durchgeführt wurde, um den Zusammenhang zwischen aktiver und passiver Nutzung sozialer Medien und selbstberichteten Symptomen von Angst und depressiver Stimmung zu untersuchen.
Die Studie legt außerdem nahe, dass aktive Nutzung guttun sollte, da Jugendliche sich durch sie weniger allein fühlen. Die Stärke von Beziehungen wird so weiter aufgebaut und vertieft, da es durch aktive Nutzung möglich ist, seine Emotionen und Informationen mit seinen Freunden, Familie oder auch mit Personen, die man aus dem realen Leben nicht kennt, zu teilen. Man geht zudem davon aus, dass aktive Nutzung mit unserem Leben offline – also in der realen Welt ohne Smartphones – zusammenhängt. Menschen, die auf sozialen Medien viel liken, kommentieren und posten, fühlen sich gleichzeitig in der nicht-digitalen Welt verbundener und weniger einsam. Die Erklärung dazu ist der sogenannte „Rich-Get-Richer-Effekt“, eine Hypothese, die besagt, dass Personen mit guten sozialen Offline-Beziehungen soziale Medien nutzen, um ihre sozialen Netzwerke und die Beziehungen zu erweitern. Aktive Nutzung sozialer Medien soll aus diesen Gründen auch depressive Verstimmungen abmildern. Laut diesen Studien soll die aktive Nutzung von sozialen Netzwerken also zum Wohlbefinden beitragen.
Das wird auch im Kontrast zur den Studienergebnissen passiver Nutzung sozialer Medien deutlich. Es beschleicht das Gefühl: Beim Durchscrollen deines Newsfeeds verliert man einfach eine Menge Zeit. Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigt dazu, dass die Nutzung sozialer Medien auch einen Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben kann. In sozialen Netzwerken sehen wir den durchtrainierten Körper von Fitnessinfluencer*innen und automatisch fangen wir an, uns mit ihnen zu vergleichen. Aber auch hier soll es helfen, eine aktive Nutzung sozialer Medien anzustreben – also Beiträge zu liken, zu kommentieren oder auch zu teilen. Denn es wird innerhalb von Studien auch aufgezeigt, dass passive Mediennutzung im Zusammenhang mit erhöhtem sozialem Vergleich steht. So zeigte ein Artikel der internationalen Fachzeitschrift Social Behavior and Personality, dass die passive Nutzung sozialer Medien einen signifikanten Einfluss auf soziale Aufwärtsvergleiche hat. Damit ist gemeint, dass man sich mit anderen Menschen vergleicht, die einem in einem oder mehreren Merkmalen vermeintlich überlegen sind. Die Krux daran: Soziale Medien sind voll von Aufwärtsvergleichen, da die Nutzer überwiegend positive Inhalte aus ihrem Leben posten und die negativen Aspekte außen vorlassen oder herunterspielen.
Gleiches gilt auch für ein lange umstrittenes Thema in den sozialen Medien: Unser Körpergefühl. Innerhalb sozialer Netzwerke werden oft Ideale dargestellt, von perfekten Bikinifiguren, bis hin zum definierten Sixpack. Aber das ist mit Vorsicht zu genießen, denn oftmals hatten hier Photoshop oder entsprechende Filter einen großen Einfluss. So wird besonders bei jungen Nutzer*innen ein falsches Bild vermittelt. Auch hier tendieren Nutzer*innen dazu, zufriedener mit dem eigenen Körper zu sein, wenn sie Soziale Medien aktiver nutzen. Eine Studie aus dem Jahr 2017 beschreibt folgenden Grund dafür: Bei der passiven Nutzung ist man den Inhalten der Profile anderer, wie zum Beispiel Status-Updates, Fotos und Videos, ausgesetzt. Da bei der passiven Nutzung keine Interaktion mit dem Profilinhaber erforderlich ist, ermöglicht diese Art der Nutzung einen einfachen Zugang zu Elementen, die ideal für soziale Vergleiche sind. Will sagen: Wir beschäftigen uns schlicht mehr mit den geschönten Inhalten, die andere Menschen von sich preisgeben, als mit unseren eigenen und daher schlägt unser Vergleichsradar öfter mal ins Negative.
Aus demselben Grund berichtet nicht nur der Journalismus darüber, sondern es finden sich auch wissenschaftliche Studien darüber, dass zu viel Zeit auf sozialen Medien zu verbringen mit einem verminderten Wohlbefinden einhergeht. Das ergab beispielsweise eine Langzeitstudie der Universität Montreal mit rund 4.000 Teenager*innen, die rund vier Jahre begleitet wurden. Die passive Nutzung sozialer Medien wird also in vielen Studien als hinderlich für das Wohlbefinden angesehen und es wird oft dazu geraten, Medien aktiver zu nutzen. Aber ist das denn wirklich so?
Warum passive Nutzung uns genauso guttun kann
Viele der oben genannten Gründe spornen nun erst einmal an, Instagram, Facebook und Co. so aktiv wie möglich zu nutzen – doch dafür ist man vielleicht gar nicht der Typ. Lieber scrollt man stundenlang durch Instagram, schaut sich Traumvillen der Schönen und Reichen an und verfolgt diese zu unglaublichen Musikfestivals an tropischen Orten, statt selbst aktiv etwas aus seinem Leben zu teilen. Das ist auch kein Problem, denn das heißt nicht, dass es dir dadurch automatisch schlechter geht. Aufwärtsvergleiche können nämlich auch positive Auswirkungen haben: so kann das passive Scrollen durch verschiedene Kanäle inspirieren und anspornen. Erst im September 2020 wurde über das Gefühl von Inspiration auf Instagram eine Studie im Journal of Communication veröffentlicht. Eine Gruppe von Forscher*innen des Instituts für Publizistik aus Mainz beschrieb gegenüber der FAZ: „Wer die optimierten Bilder gesehen hat, der hat sich deutlicher inspiriert gefühlt als die andere Gruppe, die die weniger schönen Bilder gesehen hat”- und welchen Personen wir folgen und welche Bilder wir uns anschauen, entscheiden wir selbst und können so zu unserem Wohlbefinden beitragen.
Aber passive Nutzung hat noch mehr Vorzüge. Vielleicht verliert man beim Durchscrollen des Newsfeeds tatsächlich viel Zeit. Aber ist diese Zeit auch verschwendet? Endloses Zappen dürfte uns bekannt vorkommen: „Instagram hat mir das Fernsehen komplett ersetzt. Ich sitze da abends, klicke die Storys durch und das entspannt mich total. Alles ist dabei, Unterhaltung, Beauty, News – das ist doch wie Fernsehen.” Diese Sätze sagte eine Redaktionsleiterin bei einem digitalen Format des SWR. Beforscht wurde dieses Phänomen noch nicht, es dürfte jedoch die „aktiv = gut und passiv = schlecht“-Hypothese ebenfalls schwächen.
Wir sehen: Es gibt sowohl Vorteile der aktiven sowie auch der passiven Nutzung von sozialen Medien. Doch wie sinnvoll ist diese Unterteilung in aktive und passive Nutzung dann überhaupt noch?
Warum das gesamte Konzept „aktiv vs. passiv“ kritisch zu sehen ist
Womöglich überschätzen wir den Einfluss unserer Nutzung auf unser Wohlbefinden. Laut einer Studie aus dem Jahr 1984 von Ed Diener, einer der bekanntesten Glücksforscher, besteht unser Wohlbefinden aus insgesamt drei Komponenten: der Lebenszufriedenheit, positiven Emotionen und Stimmungen, sowie der Abwesenheit negativer Stimmungen und Emotionen. Das ist nur ein sehr griffiges Beispiel, aber es wird deutlich: Die Nutzung sozialer Netzwerke, sei es aktiv oder passiv, ist nicht allein für das Glück im Leben verantwortlich.
Weiterhin kommt hinzu, dass die Uhren der Forschung zudem deutlich langsamer ticken. Soziale Netzwerke entwickeln sich im Internet sehr schnell und diversifiziert, sodass die Forschung schwer hinterherkommt. Dabei muss beachtet werden, dass sich die Nutzung verschiedener Plattformen im Laufe der letzten Jahre schon wiederholt geändert hat. Teilweise gibt es bestimmte Plattformen nicht mehr oder die Nutzung hat sich verschoben. Im Jahr 2017 beispielsweise war die Plattform Facebook vor allem für das Posten von Bildern bei jungen Leuten beliebt. So ist aktuell eher das Posten von Bildern auf Instagram vorzufinden. In Zukunft sollte sich die Forschung also nicht nur auf eine spezifische Plattform beschränken, wenn sie Aussagen über unsere Nutzung sozialer Medien treffen will.
Aktuell bezieht sich nämlich die meiste Forschung in Bezug auf Vor- und Nachteile der aktiven sowie passiven Mediennutzung auf die Plattform Facebook, teils auf die aufgekaufte Tochter Instagram oder den Messengerdienst WhatsApp. Viel zitierte Forschungsarbeiten zur Facebook-Nutzung stammen von Forscher*innen des Facebook Research Institutes. Moira Burke beispielsweise – Researcherin bei Facebook – hat diese Gegenüberstellung aktiver und passiver Nutzung 2011 erst ins Leben gerufen und festgestellt, dass besonders aktive Nutzung auf der Plattform insgesamt positiv zu bewerten ist. Doch hier muss genau hingeschaut werden, wie in dem Artikel des „n-tv“ aus dem Jahr 2017 zusammengefasst wird: “Nur tritt hier zu einer ohnehin lückenhaften Forschung, die sich noch in den Kinderschuhen befindet, eine Schwerpunktsetzung, durch die die Ergebnisse etwas zu gut ins eigene Weltbild passen.” Facebook hat durchaus ein Interesse daran, dass die Menschen über die eigene Plattform aktiv kommunizieren. Passende Studien dazu sind dabei sehr hilfreich. Denn weniger Likes, Kommentare und Nachrichten, sogenanntes Engagement, bedeuten im Umkehrschluss weniger Inhalte, weniger Daten.
Was lernen wir daraus?
Soziale Netzwerke aktiver zu nutzen, verbindet mehr mit der Außenwelt und gibt ein größeres Zugehörigkeitsgefühl – doch ist auch überhaupt nichts falsch daran, seine Kanäle passiver zu nutzen. Einigen tut es gut, viele Bilder zu posten und in Kontakt mit anderen Personen zu treten, andere schöpfen ihre Kraft aus dem Anschauen verschiedener Posts und fühlen sich so inspiriert oder können besser entspannen.
Wenn du also einmal wieder am Handy klebst und dir die immer wieder ähnlichen Jodel, Urlaubsfotos, Rezepte und Bilder von Katzenbabys ansiehst und einfach nur scrollst und scrollst und weiter scrollst, hast du selbstverständlich nicht automatisch die Kontrolle über dein Leben verloren.
Man kann seine Zeit im Netz sowohl aktiv als auch passiv nutzen und beide Nutzungsweisen haben ihre Vorteile. Diverse kritische Punkte legen jedoch nahe, dass die Unterscheidung in aktive sowie passive Nutzung nicht ausreichend ist, um unsere Mediennutzung zu begreifen. Unser Verhalten ist viel zu komplex, um es in simple Nutzungsmodi einzuteilen oder pauschal zu verurteilen. Schlagzeilen wie „Macht uns das Smartphone krank?” aus der ZEIT tappen genau in diese Falle. Daher sollten Journalist*innen anfangen, soziale Netzwerke und deren Nutzung nicht nur negativ zu framen, sondern sich auch den Nutzen anschauen, den diese Netzwerke bieten.
Wegen dieses negativen Framings raten raten uns Eltern und Freunde selbstverständlich immer noch bei jeglichen Problemen, erst einmal weniger Zeit im Netz zu verbringen. Das ist allerdings keine Universallösung: Smartphones, das Internet und große, digitale Innovationen werden nicht verschwinden. Wir müssen lernen, mit ihnen einen guten Umgang zu finden, sie mit Bedacht nutzen – aber auch, sie unabhängig beforschen.