Was haben Mainzer Student*innen und die Besucher*innen des wohl bekanntesten Penny-Marktes Deutschlands gemeinsam? Sie stranden des Öfteren am Weinregal!
So wie der selbsternannte „Käpt’n zur See” Harald Krull, denn er hat die Patente A, B, C und die 6 und “fährt die großen Pötte”. Aber keine Sorge: Die Frauen sind ihm heilig! Wem diese Sprüche bekannt vorkommen, der ist sicher schon das eine oder andere Mal auf die “Penny-Markt-Doku” von Spiegel-TV gestoßen. Rund 13 Jahre nach der Erstveröffentlichung kommt heute kaum eine*r mehr an den Kultfiguren dieser Dokumentation vorbei, die 2020 noch einmal unter der Rubrik “Spiegel-TV-Classics” auf YouTube hochgeladen wurde. Auf WG-Partys sind die schrulligen Charaktere der Reportage ein beliebtes Thema und die vierteilige Dokumentation hat manch einer oder manch einem über die Langeweile des ersten Lockdowns hinweggeholfen. Sei es der allseits einsatzbereite Wachmann Schenzilas, der der langfingrigen Kundschaft “zappzarapp” Hausverbote erteilt, ein Fallschirmspringer, eine Bauchtänzerin oder ein „Lebensmittelkontrollöööör“: Das Klientel des Penny-Marktes ist eine kuriose Kiezmische.
Das muss sich wohl auch Regisseur Markus Grün von Spiegel-TV gedacht haben, als er im Jahr 2007 mit seinem Kamerateam diese Szenen für die Nachwelt festgehalten hat. Aber damit, dass seine Doku auch so viele Jahre später noch in den sozialen Medien Wellen schlägt, hätte er sicher nicht gerechnet. So schreibt ein Twitter-User: „Pures Gold. 10/10. Deutsches Kulturgut”.
Sicher haben diese Szenen einen enormen Unterhaltungswert: Die Mischung aus skurrilen Kiez-Persönlichkeiten untermalt von heiterer Klavier- und Mundharmonikamusik ist die perfekte Vorlage für Penny-Markt-Memes. Die Reportage gibt dem Publikum einen Einblick in die Absurditäten der Reeperbahn. Doch kritische Stimmen werfen der Doku Wohlstandsvoyeurismus vor, bei der schonungslos Obdachlose, Alkoholkranke oder andere benachteiligte Randgruppen der Gesellschaft gefilmt werden – die sich vielleicht gar nicht darüber bewusst sind, dass ganz YouTube-Deutschland über sie lacht. Szenen, in der ein alkoholkranker Mann eine Flasche Korn stiehlt und von der Security im Markt festgehalten wird, während das Klavier fröhlich weiterklimpert, hinterlassen einen bitteren Beigeschmack. In einer anderen Sequenz wird ein Kunde gezeigt, der mit einem Taschenrechner den Preis von Kohlköpfen ausrechnet, um ein paar Cents zu sparen.
Einblick in eine fremde Welt?
Wenn man diese Szenen sieht, wirkt es so, als wolle Grün der Oberschicht demonstrieren, wie Armut aussehen kann. Will er diese Menschen nur bloßstellen? Nach dem unerwarteten Erfolg der Doku hat Markus Grün diese Vorwürfe in einem 2020 erschienenen Interview mit Spiegel-TV zurückgewiesen. Er wolle lediglich die „Lebensrealität dieser Menschen” zeigen. Er nehme es nicht so wahr, „dass diese Leute vorgeführt worden sind”, wisse jedoch nicht, wie solche Bilder auf das Publikum wirken. Grün bezeichnet es als eine Aufgabe von Journalist*innen, „diese Menschen zu zeigen”. Man könne der Reportage zwar einen gewissen Voyeurismus vorwerfen, aber Grün ist Jahre später noch davon überzeugt, dass sein Werk „einen gewissen Wert” habe. Statt Armutsvoyeurismus zu betreiben, wolle er dem Publikum einen „Einblick in eine fremde Welt, die man sonst so nie erleben würde“, geben. Den Zuschauer*innen soll so der Alltag auf der Reeperbahn vermittelt werden: Einen Alltag von Menschen, mit denen man sonst kaum Berührungspunkte hätte und über die man „in der Regel […] wahrscheinlich schnell drüber weg steigen” würde. Einen Alltag, mit dem Grün selbst offenbar auch nicht allzu viele Berührungspunkte hat: In dem Interview, das Spiegel-TV mit dem Regisseur führte, zeigt sich Grün offensichtlich erstaunt darüber, dass einer der Charaktere eine Gulaschsuppe stiehlt, weil er sie sich nicht leisten kann.
Glänzende Fassade, gleiche Probleme
Es wirkt nicht so, als kämen die Protagonist*innen genug zu Wort, um den Kiez-Alltag angemessen darzustellen. Die Kamera zeigt schonungslos einen offensichtlich betrunkenen Mann, der in Gewahrsam der Security des Penny-Marktes seinen Rausch ausschläft und von der Polizei abgeführt wird. Das hat weniger mit einem „Einblick in andere Lebensrealitäten” als mit purer Schaulustigkeit zu tun.
Auch auf Twitter, wo Zitate der Doku inzwischen zum alltäglichen Sprachgebrauch zählen und viele Memes dazu kursieren, gibt es auch kritische Stimmen: So merkten Nutzer*innen an, dass die Doku „teilweise echt hart zu gucken“ sei und man „Obdachlose ekelhaft und ungerecht behandeln“ würde. Grün steigt also in gewisser Weise selbst über die Charaktere hinweg, indem er sie in ihren unwürdigsten Momenten zeigt.
13 Jahre später profitiert nicht nur Markus Grün noch immer von ihnen: Auch der Penny-Markt erstrahlt nach einem Image-Wechsel in neuem Glanz und lockt so sicherlich neben der Stammkundschaft einige Schaulustige an. So hat der Markt zwar eine neue Fassade, das Klavier klimpert weiter, Grün geht nach Hause, doch die Armut und die Drogenprobleme auf der Reeperbahn bleiben.