Langstrecke statt Video-Schnipsel: Das Revival der Doku

Schneller, kürzer, hektischer. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Videoformate dieser Logik bedient. Wissensvermittlung für eine Zielgruppe mit der Aufmerksamkeitsspanne Level TikTok. Doch es gibt auch eine Umkehr des Trends. Doku-Formate werden online millionenfach geklickt – und zwar vorwiegend von jungen User*innen.

Funk von ARD und ZDF; Foto: Fabian Stoffers, Benjamin Kahlmeyer, Benjamin Eichler
Von Lina von Coburg

Allein in Deutschland nutzen mehr als zehn Millionen Menschen das chinesische Videoportal TikTok. Die unterhaltenden Videos, die User*innen hochladen können, sind kurze Sequenzen, meist nur wenige Sekunden lang. Nicht nur TikTok folgt so dem angesagten Trend der Kurzvideos. Auf Kanälen wie Instagram und Facebook lassen sich eine Vielzahl weiterer solcher Videos finden, einige sogar von öffentlich-rechtlichen Sendern der ARD und ZDF. Beispielsweise informiert die Instagram-Seite der Tagesschau ihre User*innen täglich mithilfe von kurzen Clips über das aktuelle Weltgeschehen und versucht so, wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch auf Spotify gibt es Angebote wie „100 Sekunden Wissen“, die in möglichst kurzer Zeit über Inhalte informieren. Bei der Bandbreite dieser Produktionen liegt die Vermutung nahe, man erreiche Jugendliche und junge Erwachsene nur noch mit gekürzten, gebündelten Informationen, die auf das Wichtigste reduziert werden. Fast so, als würde die Aufmerksamkeitsspanne von jungen Menschen stetig abnehmen. Ganz so einfach scheint es jedoch nicht zu sein. Denn im Gegensatz dazu stehen Doku-Formate. Sie erreichen ein Millionenpublikum – und landen auch bei den Digital Natives immer häufiger auf dem Bildschirm. Doch woher kommt diese Faszination, gerade bei jungen Menschen? 

Die Öffentlich-Rechtlichen kämpfen sich ins Leben zurück 

Betrachtet man die heutigen Doku-Angebote genauer, stößt man schnell auf die Plattform funk. Der Online- Sender ist eine Plattform der ARD und des ZDF unter Federführung des Südwestrundfunks (SWR). Mit dem vielseitigen Angebot, welches beinahe 60 verschiedene Streaming-Kanäle auf YouTube, Facebook, Instagram, Snapchat, TikTok und Spotify umfasst, soll vor allem ein Publikum zwischen 14 bis 29 Jahren erreicht werden. Eine Generation, die ihr Medienverhalten nahezu komplett von TV-Programmzeitschriften und linearem Fernsehen abkapselt und in den sozialen Medien zu Hause ist. So wurde im Oktober 2016 funk ins Leben gerufen. Der zunächst kleine Online-Kanal weitete sich schnell zum großen Netzwerk aus. Fast jeder Zweite der 14- bis 29-Jährigen hat heute das Angebot schon mindestens einmal genutzt. Nicht immer wird direkt ersichtlich, dass funk hinter dem entsprechenden Format steckt, da das Content-Netzwerk von ARD und ZDF oft mit namhaften Influencer*innen wie Phil Laude, Aurel Metz oder Mai Thi Nguyen-Kim kooperiert und als Label dabei oftmals in den Hintergrund tritt. 

Doku-Formate weit weg von Perfektion und eingestaubtem Phoenix-Image

Eine Rubrik des Portals richtet sich an die stetig wachsende Fancommunity von Doku-Formaten. Kanäle wie „Tru Doku“, das „Y-Kollektiv“ oder „Die Frage“ produzieren laufend Videos – und das mit großem Erfolg. Und, obwohl die Formate länger als einige Sekunden dauern und auch ernsteren, gesellschaftsrelevanten Content produzieren, scheinen die User*innen nicht abzuschalten. Gemein haben die Doku-Formate alle eines: Sie weichen von dem eingestaubten Image typischer Dokumentationen, wie man sie aus dem linearen TV von beispielsweise Phoenix, ZDFinfo oder Arte kennt, ab. Meistens gestaltet aus der Ich-Perspektive, nehmen die meist selbst sehr jungen Reporter*innen die Zuschauer*innen mit. Sie erzählen ihnen Geschichten aus dem alltäglichen Leben, zeigen bewegende Schicksale und fremde Lebensrealitäten auf. Die Formate profitieren nicht nur von ihrer Diversität an Themen und Menschen, sondern auch von ihrer teils laienhaft erscheinenden Machart. Durch wackelnde Bilder und mangelnde Kameraqualität, wird eine besondere Atmosphäre des Miterlebens erzeugt. So wird der Eindruck vermittelt, Rezipienten seien live dabei, wenn Frank („Die Frage“) beispielsweise auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage „Wie ist es, trans* zu sein?“ geht. 

Journalismus mit Haltung: subjektiv und selbstkritisch

Die Formate bewegen sich dabei weg von typischen Regeln klassischer Dokumentarfilme. Sie sind im Gegensatz dazu manchmal wertend, geben subjektive Einblicke und behandeln dabei Themen, die oft gesellschaftlich tabuisiert oder gemieden werden. Die Reporter*innen selbst wirken oft unsicher in Bezug auf sensible Themen, geben offen vor der Kamera zu, dass sie nervös sind. Hier kommt es nicht auf Perfektion oder das Darstellen von Fakten an, sondern darauf, transparente, hintergründige und vor allem echte Einblicke zu transportieren, die Nähe erzeugen. Durch die starke Identifikation und die bewegenden Geschichten regt diese neue Form von Doku-Formaten nicht nur den Diskurs zwischen jungen Menschen an, die sich offenbar noch für vieles mehr außer TikTok begeistern können. Sie bedienen zudem auch deren Sensationsgier und Wissensdurst. So wird die hundertste Netflix-Serie vielleicht gelangweilt abgebrochen oder das nächste lustige Kurzvideo in den Weiten des Internets schnell vergessen. Aber bei realen Geschichten mit echten Menschen und Gesichtern, können die wenigsten einfach wegschauen. 


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