Im Ausland zu arbeiten ist für Journalist*innen oft der Höhepunkt ihrer Karriere. Aber ist es auch ein Traumjob? Journalistische Freiheit ist kein globaler Standard und Medienschaffende setzen sich oftmals Einschränkungen und Gefahren aus. Wie gehen sie damit um? Der Publizissimus hat bei Steffen Wurzel, ehemaliger SWR-Auslandskorrespondent in Shanghai, nachgefragt.
Von 2016 bis 2021 war Steffen Wurzel für seinen Arbeitgeber SWR als Hörfunkauslandskorrespondent in Shanghai immer dann zur Stelle, wenn es um Einschätzungen vor Ort ging. Zuvor arbeitete er als Juniorauslandskorrespondent in Istanbul sowie Athen und hatte als Vertretung Auslandsstationen in Shanghai, Kairo und Johannesburg. Während seiner Zeit in China lernte er das Land, und insbesondere Shanghai, von den besten wie den schlechtesten Seiten kennen.
Die chinesische Überwachung und das Berichten aus Xinjiang
Seit Jahren nimmt China die untersten Ränge im internationalen Vergleich der Pressefreiheit ein. 2022 reichte es beim Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen nur für Platz 175 von insgesamt 180 bewerteten Ländern. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass China oft mit menschenverachtenden Zuständen und eingeschränkter Freiheit assoziiert wird, alles Bedingungen, welche die Arbeit von Journalist*innen erschweren. Auch die kritische Berichterstattung von Steffen Wurzel wurde zu boykottieren versucht. Im Interview wird das vor allem deutlich, als Wurzel über die Berichterstattung der sogenannten Internierungslager in Xinjiang spricht.
Ausländischen Medienschaffenden sei es generell möglich, Dienstreisen in diese Provinz zu unternehmen, die Sicherheitsbehörden würden dann allerdings hellhörig. „Man checkt ins Hotel ein und hat sofort Zivilpolizisten, die sich im Auto und zu Fuß um das Hotel herum positionieren und einen verfolgen“, schildert der Hörfunkjournalist. Hinzu kommen noch Kameraüberwachungen und Straßensperren, die in Xinjiang übliche Methoden seien. „Auf diese Weise wird immer versucht, einem die kostbare Recherchezeit zu nehmen.“ Die Arbeit ist für Wurzel in solchen Situationen mühsam, trotzdem gelingt es ihm, die Eindrücke vor Ort einzufangen, etwa die „patriotische Musik, die über die Gefängnismauer schwappte“.
China in der Pandemie
Die erbarmungslose Staatsführung Chinas wird auch zu Zeiten der Corona-Pandemie deutlich. Selbst die kleinsten Versuche des gesellschaftlichen Protestes wurden unter der roten Fahne zu verstecken versucht. Warum lassen sich die Menschen das gefallen? Diese Frage hört Wurzel oft, dabei sei es aber wichtig zu verstehen, erklärt er, dass es in China keinen Raum für korrektives Handeln gibt. Die Diktatur Chinas funktioniert demnach wie ein unausgesprochener Schweigepakt zwischen Gesellschaft und Staat. Wer trotzdem Missstände anspricht, wird häufig zensiert und muss oftmals mit juristischen Sanktionen rechnen, denn der Nährboden für zivilgesellschaftliches Engagement fehle, so Wurzel.
Die Pandemie war ein weiterer Grund für den Staat, Journalist*innen bei ihrer Arbeit auszubremsen. Wurzel erklärt, dass es beim Thema Dienstreisen eine Zeit vor und eine Zeit während der Pandemie gab: „Das Überschreiten von Provinzgrenzen in der Coronakrise ging immer mit dem potenziellen Risiko einher, dass die heimische Provinz einen nicht mehr zurückkommen lässt.“ Zuvor hatte Wurzel regelmäßig Hongkong und auch andere Teile Chinas besucht, mit dem Beginn der Pandemie sei es zwar nicht unmöglich geworden, sagt er, doch sei es mit deutlich mehr Organisation verbunden gewesen.
Im Interview wird außerdem deutlich, dass auch bei dem Finden von kritischen Stimmen Organisationsgeschick gefragt war. Interviewsperren und Verhaftungen nach Interviews mit westlichen Medien sind in China nicht unüblich. Wurzel erklärt, er habe mit der Zeit ein immer besseres Gespür dafür entwickelt, welche Fragen er in welcher Umgebung stellen könne, ohne die Menschen in Gefahr zu bringen. Für ihn selbst ist dieser Mehraufwand „der Preis, den man zahlen muss“ für eine Berichterstattung aus China. Angst um seine eigene Person habe er dabei nie gehabt, denn durch seinen Arbeitgeber und seine deutsche Staatbürgerschaft hätte er, wenn nötig, immer die Möglichkeit einer Ausreise gehabt.
Bewusstsein für China
Viele der Schilderungen wirken bedrohlich, vielleicht sogar abschreckend. Wurzel nimmt aus dieser Zeit aber auch viele positive Erlebnisse mit, denn das spannende an der Arbeit als Auslandskorrespondent sei der Berufsalltag an unbekannten Orten. In Shanghai habe er sich angefangen heimisch zu fühlen, als er merkte, immer wieder auf dieselben Leute zu treffen, erzählt Wurzel: „Wenn ich jeden Morgen um acht oder halb neun Uhr losgehe, sehe ich jeden Tag dieselben Gesichter.“ Irgendwann kenne man die Namen und Geschichten zu den Gesichtern, der Kontakt zu den Einheimischen sei ihm jedenfalls nicht schwergefallen. Und auch nach seiner Zeit als Hörfunkauslandskorrespondent bestehe durch persönliche wie berufliche Verbindungen und dem Lesen von internationalen Zeitungen weiterhin Kontakt nach China. Sein Bewusstsein für das Land bleibe und auch wenn er gerade zufrieden mit seinem Leben in Deutschland sei, könne er sich vorstellen, beruflich irgendwann wieder dorthin zurückzukehren. Ob sich diese Möglichkeit für ihn ein zweites Mal bietet, liegt auch an der Regierung Chinas und daran, ob er noch einmal ein Visum erhalten würde. Wurzel befürchtet, dass in Zukunft „die Hürden für ausländische Journalist*innen noch größer werden als sowieso schon“. Und trotzdem, nach über fünf Jahren als Journalist in China antwortet Wurzel auf die Frage, ob er seinen Beruf als Traumjob bezeichnen würde: „Ja klar, uneingeschränkt!“
Anmerkung der Redaktion: Das Interview mit Steffen Wurzel fand bereits im Mai 2022 statt.