Love scams und luxury life: die Masche des Tinder-Schwindlers

Die Netflix-Dokumentation „Der Tinder-Schwindler“ erzählt die Geschichte eines Hochstaplers, der sich sein luxuriöses Prachtleben mit der finanziellen Ausbeutung seiner Tinder-Matches finanziert. Wie er dabei vorgeht und warum die manipulative, perfide Vorgehensweise so lange unentdeckt blieb, könnt ihr hier lesen.

Von Anso Joos-Arp

Swipe right, Swipe left, Swipe left, Swipe, Swipe, Swipe… Den meisten Internet-nutzer*innen ist das Muster des schnellen und instinktiven Aussortierens von potenziellen Liebhaber*innen auf Tinder, Bumble und Co. gewiss geläufig. Die Präsentation der eigenen Gestalt im möglichst besten Licht soll möglichst viele Interessent*innen anziehen. Ganz ehrlich und authentisch bleiben entsprechend wenige User*innen auf dem eigenen Profil. Ein Filter hier, etwas Retuschieren da, eine interessante Story für die Biographie oder gar ein falscher Name – alles zur Show.

Vom Tinder-Date zur Netflix-Doku: der Tinder-Schwindler (Screenshot: Anso Joos-Arp)

Wer ist der „Tinder Schwindler“?

Einer, der es mit dem „Faken“ zu toll getrieben hat, hört auf den Namen „der Tinder Schwindler“. Seine Geschichte wurde dank Felicity Morris, der Regisseurin des Dokumentarfilms, und dem Streaming-Dienst Netflix mit der ganzen Welt geteilt. Achtung Spoiler: Im Folgenden wird über Details und das Ende des Films gesprochen. Wenn du noch vorhattest, die Doku unvoreingenommen zu sehen, dann swipe jetzt besser rüber in die Netflix-App und finde anschließend wieder hierher zurück.

Der „Tinder-Schwindler“, unter der Regie von Felicity Morris, erschien erstmals am 2. Februar 2022 auf Netflix und trat sofort eine gesellschaftliche Debatte um die Unmöglichkeit dieser Erzählung los. In Deutschland fand sich der Film sofort auf Platz 1 der Top 10 Filme. Zunächst ein kurzer Abriss der Geschichte: Cecilie Fjellhøy, eine junge Frau aus Norwegen, nutzt die Dating-App Tinder auf der Suche nach der großen Liebe. Sie matcht den charmanten Milliardär Simon Leviev und verabredet sich mit ihm. Aus dem ersten Treffen wird schnell eine feste Beziehung mit großen Zukunftsplänen. Im Laufe des Films lernt man als  Zuschauer*in jedoch bald, dass hinter dem geschäftigen Playboy ein Hochstapler mit völlig anderer Identität steckt. Shimon Hayut ist keineswegs der Sohn eines reichen Diamantenhändlers, sondern finanziert seinen glamourösen Lebensstil, indem er Frauen wie Cecilie um Hunderttausende Dollar betrügt, ihre Kreditkarten nutzt und sich Wohnungen von ihnen anmieten lässt.

Wie geht er vor?

Shimon Hayut, in bürgerlichen Verhältnissen geboren, gibt sich als Sohn des bekannten Diamantenhändlers Lev Leviev aus. Um die Familienbeziehungen zu beweisen, fügt er sich mithilfe von Photoshop in Familienbilder des Millionärs ein. Er erfindet ein Netzwerk an Personen um ihn herum, die seine Geschichte und Herkunft bestätigen: einen Bodyguard, eine Ex-Freundin, die ein Kind mit ihm hat und ihn zum Teil auf seinen Reisen begleitet. Die Frau, die Cecilie nach ihrem ersten Date tatsächlich kennenlernt, ist ebenfalls ein Opfer Shimons. Zahlreiche luxuriöse Bilder auf Instagram ziehen viele Follower*innen an und zeugen von einem gewissen Prominentenstatus. Er legt außerdem viel Wert auf sein Äußeres, von Markenklamotten über teure Uhren und Schmuck ist alles dabei. Kurzum: Der Tinder-Schwindler sieht reich aus.

Ebenso perfide ist seine Anmache über die Datingplattform Tinder. Er führt lange und intensive Gespräche, baut Vertrauen auf, zeigt Verständnis für die anfängliche Unsicherheit seiner Opfer, gibt sich bodenständig und gentlemanlike. Sein Ziel: kein flüchtiger One-Night-Stand, sondern die Liebe fürs Leben. Alles scheint perfekt. Auch, als Cecilie schließlich offiziell mit ihm zusammen ist, flaut die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkt, zunächst nicht ab. Er schickt ihr Rosen, fliegt unerwartet zu ihr, schreibt und telefoniert ununterbrochen. Schließlich schlägt er sogar vor, zusammenzuziehen und verspricht ihr, ein Leben lang zusammen zu bleiben. Doch  warum hat das Märchen kein Happy End?

Wer hat sie nicht auf dem Smartphone – die Tinder-App ist weitverbreitet (Bild: PictureAlliance)

Ab einem gewissen Punkt in der Beziehung zieht Shimon Hayut die immer gleiche Masche: Er hat Vertrauen aufgebaut, durch eine gemeinsame Wohnung ein Abhängigkeitsverhältnis geschaffen und erzählt den unwissenden Liebhaberinnen jetzt, er sei aufgrund seiner Geschäfte und dubioser Gegner in Gefahr. Kurzfristig sei er auf ihre finanzielle Hilfe angewiesen, für welche er sich in kürzester Zeit natürlich revanchieren würde. Shimon Hayut geht dabei besonders perfide vor: Zunächst fordert er kleinere Beträge, Überweisungen, um dem Lover zu helfen, weil angebliche Bankkonten gesperrt oder aus Sicherheitsgründen nicht nutzbar sind. Er versichert immer wieder, er zahle seine Schulden zum schnellstmöglichen Zeitpunkt zurück und es sei ihm unangenehm, überhaupt darum bitten zu müssen. Mit seiner manipulativen Art fordert der Hochstapler immer höhere Summen und bittet sogar darum, dass die Frauen bei verschiedenen Banken Kredite aufnehmen oder ihm Bargeld in persona überbringen. Dass dieses Geld darauf verwendet wird, seinen Luxus zu finanzieren, ahnen die Damen nicht. Hayuts Masche ist so simpel wie kreativ: Er stellt Schecks aus, die gefälscht sind und sich daher nicht bei einer Bank einlösen lassen. Aber sie zeigen den gewünschten Effekt: Seine Geldgeberinnen wiegen sich in Sicherheit.

Die Netflix-Dokumentation erzählt das Schicksal von den drei Frauen, Cecilie Fjellhøy, Pernilla Sjoholm und Ayleen Charlotte, die sich nach der Erfahrung des Betrugs schließlich gemeinsam entschließen, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Kredibilität erfährt die Netflix-Doku, indem Felicity Morris die Frauen selbst sprechen lässt. Wie in einem Date-Setting sitzen sie in feinen Restaurants, das Licht ist gedimmt, nur der Bildschirm des Handys leuchtet, wenn sie mit Instagram-Posts, nachgestellten Chatverläufen, Sprachnachrichten und Screenshots ihre Geschichten belegen. Das Ambiente, das rund um die Frauen geschaffen wird, erinnert an einen Safe Space und steht im krassen Gegensatz zu den Interviews mit Journalist*innen, die währenddessen in ihren Büros sitzen. Die drei Frauen wirken verletzlich, nahbar und schaffen ein Gefühl der Vertrautheit mit dem Publikum. Es gibt keinen Grund, an der Echtheit der erzählten Geschichte zu zweifeln, sei sie noch so unglaublich. 

„Ein Swipe kann dein Leben für immer verändern“

Mit dieser Aussage trifft Cecilie voll ins Schwarze. Wie am Ende des Films zu sehen ist, zahlt sie heute noch die Kredite ab, die sie bei neun Banken aufgenommen hat. Weder sie noch die anderen Opfer haben eine Wiedergutmachung in Form finanzieller Entschädigung erhalten. Es wird auch deutlich: Die psychische Belastung, auf die Hochstapelei hereingefallen zu sein, wirkt nach. Das zeigt sich nicht allein durch Cecilies Aufenthalt in einer Psychiatrie, bedingt durch Suizidgedanken und Angststörungen, die angehäuften Schulden nie wieder zurückzahlen zu können. Das Thema ist emotional aufwühlend für alle drei. Immer wieder verdrücken Cecilie Fjellhøy und Pernilla Sjoholm Tränen und es ist ihnen anzusehen, wie tief die Verletzung liegt. 

Der Film verspricht die volle Emotionsladung. Felicity Morris ist es gelungen, die im Film vorgestellten Frauen Cecilie Fjellhøy, Pernilla Sjoholm und Ayleen Charlotte so zu portraitieren, dass sich beim Publikum automatisch Gefühle der Anteilnahme einstellen. Die Emotionen und Gefühle, die sie beschreiben, sind greifbar – von der anfänglichen Erregung während des Kennenlernens, über Argwohn und Zweifel an den Bitten und Forderungen, die ihnen vom Tinder-Schwindler gestellt werden, bis hin zum Schock, als sie die Wahrheit über ihren angeblich so perfekten Lover herausfinden. Dennoch hinterlässt die Dokumentation eine gewisse Ungläubigkeit: Wie kann eine solch surreale Geschichte wahr sein? Womit konnte Shimon Hayut die Frauen dazu bringen, solche Schuldenberge für ihn anzuhäufen? Und primär: Wie kann ein Mensch mit einem solchen Verhalten nicht auffliegen? Auf diese Fragen gibt der Film bewusst keine Antworten.

(Bild: PictureAlliance)

Die Netflix-Dokumentation erzielt bei diversen Rezensionen nicht die volle Anzahl an Sternen – und das zurecht. Sei die Situation noch so skurril, unglaublich und schwer fassbar, der Film tut sein Übriges, um das Drama auf die Superlative zu treiben. Die Hintergrundmusik, die immer wieder eingespielt wird, ist theatralisch und dramatisierend. Die Art und Weise, wie die Gespräche mit den drei Frauen und die Filmsequenzen mit Shimon Hayut zusammengeschnitten sind, untermalen eine gewisse Zuspitzung im Laufe des Films. An einigen Stellen wirkt die Dokumentation überladen und dem Zuschauenden bleibt es nur, den Kopf zu schütteln.

Wie konnte so etwas passieren?

Der Film lässt das Publikum mit einem unbefriedigenden Gefühl der Erkenntnislosigkeit zurück.  Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden viele, die sich nach dem Film völlig irritiert über die nicht wiederhergestellte Gerechtigkeit gegenüber der drei Frauen aufgeregt haben, zu weiterer Recherche verleitet. Instagram und TikTok als erste Anlaufstellen, um nach den Profilen des berüchtigten Milliardärs zu suchen. Auch wenn das Instagram-Profil des Tinder-Schwindlers kurzzeitig aktiv bespielt wurde, ist es inzwischen wieder gesperrt. Der wahre Diamantenhändler Lev Leviev erhebt Anklage wegen Identitätsdiebstahls gegen ihn und so sperrte Instagram wiederholt den Account. Noch frustrierender ist aber die Erkenntnis, dass der Dokumentarfilm mit seinem offenen Ende nur die Realität widerspiegelt: Simon Leviev alias Shimon Hayut wurde seines Lebens mehrfach wegen gefälschter Pässe und Schecks sowie Diebstahls verurteilt, aber konnte seine Strafen aus vielerlei Gründen frühzeitig beenden. Das Unfassbare: Er lebt sein protziges Hochstaplerleben ungerührt weiter. Die Wahrheit hinter der Netflix-Dokumentation dementiert er vehement. Als Beweis dafür lässt er seine aktuelle Freundin, das Model Kate Konlin, sogar vor laufender Kamera beweisen, dass er sie noch nie um Geld gebeten habe.

Die Netflix-Sensation hält, was sie verspricht: Die Dokumentation eines riesigen Schwindels via Tinder, so unglaublich, dass man meinen könnte, die Geschichte entstamme den kreativen Köpfen von bei Marvel oder Disney angestellten Autor*innen.  Wer also auf der Suche nach einer aufregenden Freitagabend-Beschäftigung ist und keine Lust hat, die Jogginghose auszuziehen, der ist mit dem Tinder-Schwindler gut beraten. Und für alle, die bis dato die Hoffnung hatten, ihre große Liebe befände sich unter den Millionen Tinder-User*innen – der Tinder-Schwindler beweist einmal mehr, dass auch beim unverbindlichen Swipen Vorsicht geboten ist.


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