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Instagram ist schlecht für das Selbstbild junger Frauen und Mädchen. Facebook fördert die Verbreitung von Fake News und die Bildung von Filterblasen. Twitter ist ein permanent brodelnder Hexenkessel, indem Anfeindungen und Morddrohungen von rechten Trollen an der Tagesordnung stehen. Dies sind gängige Kritiken, die oft bei der Diskussion über die Nutzung und den Nutzen von Social Media ins Gespräch gebracht werden. Aber kann das alles gewesen sein? Deutlich seltener wird über die die positiven Seiten von Social Media gesprochen – und das nicht etwa, weil diese nicht existieren. Forschung dazu ist reichlich vorhanden und gehört zur Debatte dazu. Hier sind fünf wissenschaftlich fundierte Tipps für einen gesunden Umgang mit sozialen Medien.
Tipp 1: Qualität statt Quantität – auch im Netz
Wenn man an einem Tag nur eine Stunde YouTube schaut, sich die Kuscheldecke und den Tee bereitgelegt hat und die neuen Videos der Lieblingsinfluencer*innen genießt, fühlt man sich höchstwahrscheinlich besser, als wenn man vier Stunden durch den Facebook-Feed scrollt und immer wieder an Clickbait-Artikeln festklebt.
Zoomen wir daher zunächst einmal heraus und schauen uns einmal die möglichen Dinge an, mit denen wir uns auf Social Media überhaupt beschäftigen können. Es gibt Inhalte und Tätigkeiten, die sich für viele besser oder schlechter anfühlen. Darstellen lässt sich das zum Beispiel als Pyramide.
Dieses Modell stammt von Autor und Kommunikationswissenschaftler Faris Yakob und ist angelehnt an die berühmte Ernährungspyramide, die uns schon in der Grundschule beigebracht hat, dass Nutella und zu viele Chips schlecht sind, ein Apfel aber supergut für uns ist. Nun wurde sie abgewandelt, um uns neben gesunder Ernährung auch eine gesundere Mediennutzung im Internet beizubringen. Das Schema verdeutlicht: Es ist gesünder, bewusst einen Film, oder sogar eine gesamte Serie durchzuschauen, als hirnlos durch Social Media zu klicken, selbst wenn die Inhalte, die man dort konsumiert, eigentlich weiterbildend sind. Laut dieser Pyramide sind ideologische Nachrichtenportale mit reißerischen Überschriften toxisch und sollten am wenigsten konsumiert werden. Kulturinhalte lassen uns hingegen wachsen. Diese sollten wir uns auf sozialen Medien am häufigsten ansehen. Diese Pyramide verdeutlicht bereits: auf die konsumierten Inhalte und die Art und Weise, wie wir Social Media nutzen, kommt es maßgeblich an.
Tipp 2: Mehr Mediennutzung mit Bedeutung
In der heutigen digitalen Welt ist jede*r einzelne extrem connected – quasi durchgehend mit Millionen anderer Menschen vernetzt. Einen neuen Zugang zur Welt und eine Connection zur gesamten Menschheit spüren und dabei gleichzeitig Einblicke in das individuelle Innenleben erlangen, ist auch durch die eigene Mediennutzung möglich. Das mag zwar zunächst wie esoterischer Blödsinn klingen, ist aber eine wertvolle Sichtweise auf Medienwirkung, die wichtige Learnings, sowohl für Inhalte als auch unsere Nutzungsweise bereithält. So rufen die US-amerikanische Forscherin Mary Beth Oliver und ihre Kolleg*innen in einer Studie aus dem Jahr 2018 den Begriff „Selbsttranzsendenz“ ins Leben, der so viel bedeutet wie „die eigenen Grenzen überschreitend“.
Reicht es also aus Yoga-Leggings anzuziehen, ein Foto von Heilkristallen zu liken oder ein Selfie von sich selbst bei der Meditation zu posten? Natürlich nicht. Bei Selbsttranszendenz geht es vielmehr darum, im medialen Kontext Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen und sich als Teil des Großen Ganzen zu fühlen. Also konkret: eine Onlinecommunity zu finden, in der man sich wohlfühlt. Sei es also passiv, in dem ihr auf Instagram oder Tiktok nur Menschen folgt, die euch bestärken oder ihr euch aktiv in Gruppenchats austauscht – Hauptsache, die Inhalte, die ihr seht, machen euch glücklich und zeigen euch auch die schönen Seiten der Welt. So werdet ihr glücklicher und steigert gleichzeitig durch ein erhöhtes Gemeinschaftsgefühl euer Mitgefühl für andere.
Ein weiterer Aspekt dieser spirituellen Mediennutzung bezeichnen Colins und Kolleg*innen als selbstbezogene Mediennutzungsweise. Dabei geht es darum, innere, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen, also Erlebnisse zu fördern, die den Geist beleben und Mediennutzer*innen dazu bringen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ihr kennt es wahrscheinlich: Es gibt doch immer diesen einen Kanal, der dir, egal auf welcher Art und Weise, die Augen geöffnet hat – sei es nun ein Zusammenschnitt deiner liebsten Serienintros aus der Kindheit oder ein bewegender Film.
Tipp 3: Relax, and use it!
Ob Filme, Games oder Insta – Unterhaltungsmedien haben ein starkes Potenzial zur Erholung von Stress und Belastung beizutragen, sowie beim Auftanken der körperlichen und geistigen Ressourcen zu unterstützen. Nur, wenn wir diese Ressourcen wieder „auffüllen“ und die Belastungen des Arbeitsalltags und die tägliche Hektik hinter uns lassen, können wir unsere täglichen Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Erholen wir uns für eine längere Zeit nicht, haben viel zu viel Stress und angeln uns nur von Kaffee zu Kaffee, weil wir so müde sind, erhöhen wir unser Risiko, psychisch oder körperlich zu erkranken.
Das gilt besonders nach einem Arbeitstag, denn nachdem viele schon stundenlang im Büro oder im Homeoffice auf den Bildschirm gestarrt haben, ist es wichtig, sich nach getaner Arbeit zu erholen. Zwar wäre es am besten, dafür einen Mannschaftssport zu betreiben, aber sind wir mal ehrlich: Wer hat denn jeden Tag nach der Arbeit oder der Uni noch die Motivation für so ein zeitaufwendiges Hobby? Mediennutzung ist da eine naheliegende Alternative. Doch auch bei der Art der Mediennutzung gibt es hier unterschiedliche Effekte auf die Erholung nach der Arbeit. Was entspannt euch mehr – eine kurze Meditation mit einer App wie Headspace oder eine kurze Gaming Session, mit Spielen wie CandyCrush? Viele würden mit Sicherheit bei der Antwort auf diese Frage auf die Meditations-App wetten – doch sie irren sich. Denn eine Studie von Collins und Kolleg*innen aus dem Jahr 2019 zeigt: Eigentlich ist es förderlicher, sich mit einem Spiel zu entspannen. Hierbei werden die Gedanken komplett weg von der Arbeit weggelenkt, man erhält durch die Fortschritte im Spiel ein Gefühl der Errungenschaft, und man setzt sich ganz bewusst dem Spiel aus – sei es auch nur für 10 Minuten. Auch hier ist bewusstes Konsumieren eines Mediums erholender als unbewusstes Scrollen.
Zudem haben Medien haben das Potenzial, Eskapismus zu ermöglichen und die Mediennutzer*innen von den Sorgen und Belastungen des Alltags abzulenken. Das nennt man auch„Mood Regulation“. Bei Langeweile und Stress kann das Spielen von Videospielen die Aufmerksamkeit von unangenehmen Emotionen ablenken. Videospiele, kurze Videoclips, YouTube-Videos und Filme zeigen sehr positive Effekte auf Erholung, Arbeitszufriedenheit, Vitalität und positiven Affekt, aber auch die kognitive Leistung) wird vom Spielen von diversen Videospielen positiv beeinflusst.
Eine kleine Gaming-Session zum Kraft tanken am Abend ist also vollkommen gesund und legitim – aber wie sieht es während der Arbeitszeit aus?
Tipp 4: Cyberslacking und warum sich dein*e Chef*in mal nicht so anstellen soll
Heute ist es sehr ruhig im Büro. Kein Klingeln, Blinken, Piepen oder sonstige Geräusche in deiner Umgebung. Da fällt dir ein, du könntest ja mal deinen Vermieter wegen dieser exorbitanten, nicht nachvollziehbaren Nebenkostenabrechnung anhauen, die gestern in deinem Briefkasten gelandet ist. Gesagt, getan. Du schließt den Tab mit deinem privaten Mail-Account. Um dich herum weiter nur das aggressive Brummen des Kaffeevollautomaten. Du beschließt, bei Zalando nach den sexy Timberland Loafers zu schauen, die du im Laden in der Fußgängerzone gesehen hast (vielleicht sind sie da ja noch mal bisschen billiger) und bäm! – noch mal 15% Summer Sale. Ab in den Warenkorb damit.
Was da gerade passiert ist, nennt sich Cyberslacking, oder auch Cyberloafing (nicht wegen der Schuhe natürlich). Diese zwei Begriffe meinen das Nutzen, des vom Arbeitgeber bereitgestellten Internetzugangs für private Zwecke. Ein Professor der Uni Melbourne fand heraus, dass 70-80% aller Angestellten bei der Arbeit regelmäßig cyberslacken. Ein Forscherduo aus dem US-Bundestaat New York knüpfte an diese Studie an und stellte bei den Proband*innen fest, dass sich die Dauer von Cyberslacking bei Angestellten auf bis zu eineinhalb Stunden am Tag beläuft. Alle Vorgesetzten, die jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und stärkere Überwachung am Arbeitsplatz fordern, können sich beruhigen. Cyberslacking und Cyberlaofing können auch enorme Vorteile haben.
Ein Forscher*innen-Team aus den USA und Deutschland fand heraus, dass der Konsum von YouTube-Videos während der Arbeitszeit einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden von Angestellten hat. Gerade Videos mit einer inspirierenden Message oder einem inspirierenden Plot á la „People Are Awesome“ können Motivation und Energie der Angestellten steigern. Dadurch erfahren die Arbeiter*innen ihre Arbeit als bedeutungsvoller und fühlen sich gleichzeitig verbundener mit ihren Mitarbeiter*innen. Ein überraschendes Ergebnis der Studie legte dar, dass Videos, welche als witzig wahrgenommen wurden, keinen direkten oder indirekten Einfluss auf das Befinden der Angestellten haben.
Doch nicht nur YouTube verhilft dem Gehirn während der Arbeit im Büro zu einer kurzen Entspannung. Die eben genannte Studie hat gezeigt, dass die generelle Nutzung von Medien über einen Zeitraum von drei bis vier Minuten das Stresslevel von Angestellten drastisch reduziert hat. Der Konsum von kurzen YouTube-Videos bei der Arbeit hat also einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden der Angestellten und kann dabei helfen, den Kopf abzuschalten, an etwas anderes zu denken und sich kurz zu erholen.
Wanna get inspired?
Wanna have a quick laugh?
Wanna have a good time for 6 minutes and 6 seconds?
Tipp 5: Sich in Achtsamkeit üben
Würden wir in einer maßlosen und exzessiven Art und Weise nur noch inspirierende YouTube-Videos konsumieren, würde es uns allerdings auch nicht sonderlich gut gehen. Der letzte Tipp für einen gesunden Umgang mit Social Media ist daher, achtsam mit sich selbst und seiner Mediennutzung zu sein.
Bei Achtsamkeit geht es darum, im Moment präsent zu sein, wahrzunehmen, was gerade in einem und um einen herum passiert, ohne dabei über Vergangenheit oder Zukunft zu grübeln. Eine erhöhte Achtsamkeit für sich selbst, wird in Studien mit einer höheren Lebenszufriedenheit verbunden. Menschen, die Achtsamkeit üben, können ihre Produktivität steigern, haben weniger Depressionen und Angstzustände und sind insgesamt glücklicher und erfüllter. Auch eine achtsame Nutzung der sozialen Netzwerke kann die Lebensqualität steigern. In einer 2017 erschienenen Studie über den „always on“-Lifestyle finden Wissenschaftler*innen Belege dafür, dass die Nutzung der Onlinemedien unsere psychische Gesundheit und Lebensqualität verbessern kann, wenn diese Nutzung angemessen ist.
Als angemessene Smartphone-Nutzung ermittelten verschiedene Studien eine durchschnittliche Zahl von ungefähr drei Stunden am Tag, mehr als das könnte gesundheitliche Probleme verursachen und zur Überanstrengung der Augen oder auch zu Konzentrationsschwächen führen. In einer Studie über den Lifestyle, „always on“ zu sein, wird allerdings darauf hingewiesen, dass nur wir selbst beurteilen können, wie viel Nutzung von online Medien uns guttut. Einige Menschen ertragen eine durchschnittliche Nutzungsdauer von über drei Stunden am Tag gut, andere sind dabei mit sich selbst unzufrieden. Deshalb ist hier achtsame Mediennutzung eine wichtige Strategie zum gesunden Umgang mit den sozialen Medien.
Heute bieten die meistgenutzten Smartphone-Betriebssysteme, wie etwa Android oder iOS, eingebaute Funktionen, mit denen die Smartphone– und Social Media-Nutzung beobachtet werden kann. Die Nutzungszeit zu beachten und für sich selbst zu spüren, ob sich diese als „angemessen“ anfühlt, kann schon ein erster Schritt für einen achtsamen Umgang mit sozialen Medien sein. Auch ab und an einmal während der Mediennutzung innezuhalten und die Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, hilft vielen. Alternativ kann auf das Handy verzichtet und achtsam beobachtet werden, wie es einem damit geht und was man genau vermisst.
Fazit: Die eigene Pyramide bauen
Was wir aus diesen Tipps lernen ist: Es gibt es vielzählige Möglichkeiten für einen gesunden Umgang mit sozialen Medien und sie sind im Inbegriff immer weiter erforscht zu werden. Soziale Medien können uns Freude und Zufriedenheit schenken, sich gut auf die Psyche auswirken oder auch einfach nur dazu dienen, um bei der Arbeit kurz abzuschalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Selbstbild von einigen Frauen auf Instagram noch immer leidet, Filterblasen auf Facebook weiter existieren, Trolle auf Twitter weiter trollen, aber derartige Phänomene sind nur eine Seite der Medaille. Diese Tipps sind wahrlich kein Gegengift für jegliche Gefahren und Verlockungen im Netz, sie sind ein Werkzeug, das wir selbst in die Hand nehmen und benutzen sollten, um unsere eigene Pyramide für Social Media so zu bauen, dass sie unseren Bedürfnissen entspricht.
Autor*innen: Asmeen Chaudhry, Amelie Hamester, Nils Lacker & Pedro Hugo Miranda Carvalho
Weitere Quellen:
- https://www.conehealth.com/services/behavioral-health/7-healthy-habits-of-social-media/
- https://faris.medium.com/how-to-balance-your-media-plans-8f2485898595