Arte ist angesagt. Auch im Jahre 2021. Das ist spätestens dann nicht mehr zu leugnen, wenn der selbsternannte „einflussreichste Podcast Europas“ über den Fernsehsender spricht. Im beliebten Podcast „Gemischtes Hack“ lobt Host Felix Lobrecht den Sender als „Leader in Dokuship“ und empfiehlt besonders den dokumentarischen Film „Dance or Die“: „Das ist der feuchte Traum von `ner Arte-Doku“. Dass es einen solchen auch 30 Jahre nach der Gründung bei Arte noch geben würde, hätte damals wohl keine*r gedacht.
Anfängliche Zweifel auf beiden Seiten
Die ersten Überlegungen für einen deutsch-französischen Kulturkanal gab es in der Mitte der 1980er Jahre. Doch statt Euphorie war die Idee von Beginn an durch Zweifel geprägt. Die deutsch-französische Freundschaft war fragil, einer deutschen Einflussnahme auf das französische TV-Programm begegnete man im Nachbarland mit Sorge. Auch kamen beide Verhandlungspartner an ihre bürokratischen Grenzen. Es schien unmöglich zu sein, den deutschen Föderalismus und den französischen Zentralismus miteinander zu vereinen. Erst durch die deutsch-deutsche Wiedervereinigung gelang es, dass sich alle beteiligten Parteien an einen Tisch setzten und die Idee des Senders weiterentwickelten.
Trotz aller Schwierigkeiten wurde am 02. Oktober 1990 ein Staatsvertrag für einen gemeinsamen Fernsehsender geschlossen. Das Interesse von Frankreich und Deutschland, einen europäischen Kulturkanal entstehen zu lassen, wurde im darauffolgenden Jahr 1991 nochmals durch eine neu gegründete Interessengemeinschaft verstärkt. Somit wurden Deutschland und Frankreich auch rechtlich gleichberechtigte Partner. Die ARD und das ZDF erhielten ebenso wie der französische Kanal La Sept 50 Prozent Beteiligung. Dieser europäische Gedanke findet sich auch in der französischen Namensgebung wieder, denn Arte (‚Association Relative à la Télévision Européenne‘) ist im Deutschen mit ‚Zusammenschluss bezüglich des europäischen Fernsehens‘ zu übersetzen.
Vorurteile, Misstrauen und ein schwerer Stand
Anderthalb Jahre nach der Schließung des Staatsvertrags ging Arte am 30. Mai 1992 das erste Mal mit der Eröffnungsfeier in Straßburg auf Sendung. Dort befindet sich heute, neben Paris und Baden-Baden, eine der drei die Hauptsendeanstalten. Gerade in den Anfangsjahren musste Arte immer wieder beleidigende Schlagzeilen und Kommentare, selbst durch öffentlich-rechtliche Institutionen dulden. Im Jahr 1991 hieß es auf deutscher Seite, dass Arte ein „Bastard der Politik“ und das „letzte Kind des Kalten Krieges“ sei. 1996 spottete ein französischer Abgeordneter, dass es sich um „politischen Anachronismus“ handle.
Der Start des deutsch-französischen Senders wurde durch Vorurteile und Feindseligkeiten gegenüber der jeweils anderen Nation erschwert. Vorurteile und Feindseligkeiten, die durch eine Kriegs-geprägte Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, schlecht zu beseitigen sind.
Stärkung der deutsch-französische Freundschaft
Es hat viele Signale in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebraucht, damit es erstmals wieder zu einer Annäherung zwischen den beiden Ländern kam. Die damaligen Staatsoberhäupter der beiden Länder Konrad Adenauer und Charles de Gaulle bemühten sich regelmäßig um ein friedliches Verhältnis. So setzten sie sichtbare Zeichen bei öffentlichen Ereignissen wie bei der Versöhnungsmesse in Reims 1962 und ein Jahr später bei der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Auch François Mitterand und Helmut Kohl reichten sich die Hände vor dem Beinhaus in Verdun, als an die Opfer der Kriege zwischen Frankreich und Deutschland erinnert wurde.
Der Sender hat dazu beigetragen, ein weiteres freundschaftliches Zeichen zu setzen. Arte liefert ein umfangreiches Bildungs- und Kulturprogramm für beide Länder. Zwar bemühen sich Frankreich und Deutschland auch in der Zusammenarbeit mit (Hoch-) Schulen, bauen mit gemeinsamen Literaturprogramme sprachliche Brücken und schaffen in Städtepartnerschaften einen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch. Dennoch schafft Arte eine einzigartige Verbindung zwischen Geografie, Bildung, Kultur und Unterhaltung.
Kultur linear und multimedial
Seit Beginn arbeitete der deutsch-französische Sender an solch einem übergreifendem Programm. Nicht nur auf verschiedenen thematischen Ebenen, sondern auch daran, nicht-lineare und lineare Inhalte miteinander zu verknüpfen. 2007 ging so die Mediathek an den Start, es folgten ein Livestream und Arte Concert, welches Festivals und Konzerte überträgt. 2011 wurde die transmediale Plattform Arte Creative als weitere interaktive Schnittstelle zwischen Internet und klassischem Fernsehen geschaffen. Der Schwerpunkt liegt hier bei Inhalten, die per Videospiel oder Virtual Reality vermittelt werden sollen. Seit 2013 versucht der Sender auf der Plattform Arte Future vorwärtsgewandte und zukunftsorientierte Themen, die Klima, Wissenschaft und Gesellschaft betreffen, zu vermitteln.
Im heutigen Angebot von Arte findet sich für jede Altersgruppe das passende Format. Der Sender entwickelte sich über die Jahre immer wieder weiter. Unterstützt wurde das durch das französische Medienrecht und deren Freiheiten. Und Artes Mut und Kreativität zahlen sich aus: Mittlerweise haben beispielsweise ARD und ZDF massive Probleme, Zuschauer*innen zu halten, weil oft lineare Inhalte in der Mediathek hochladen geladen werden, sich der Medienkonsum aber bekanntermaßen verändert hat. Der deutsch-französische Sender ist dagegen mit seinem breit aufgefächertem Programmangebot, exklusiven Webinhalten, 360 Grad-Videos und VR Content besser aufgestellt.
Nische oder Vorreiter?
Weiterhin gibt es Dokumentationen, Reportagen, Berichte, Spielfilme zu den Themen Kultur, Kunst, Feminismus, Umwelt, Gesellschaft, Flucht und Integration zu sehen, ebenso wie Jubiläen- und Themenspecials. Kurz um: Artes Marktanteil ist eher mittelmäßig bis gering. Dennoch ist der Fernsehsender inzwischen mehr als eine Nische und hat sich zu einem zeitgemäßen Kanal entwickelt, der alle Alters- und Interessensgruppen bedient. Dazu tragen ein wachsendes multimediales Angebot und die Untertitelung in inzwischen sechs verschiedene Sprachen bei. Mit dieser sprachlichen Vielfalt werden 80 Prozent des europäischen Sprachraums abgedeckt.
Dies lässt sich auch in den vielfachen Auszeichnungen sehen. Darunter befinden sich zahlreiche Oscars, Deutsche Filmpreise, Golden Globes und Goldene Palmen. Nicht nur die Fremdproduktionen, die im Auftrag von Arte produziert oder gefördert werden, werden geehrt, sondern auch eigene Produktionen, die aus Spiel-, kurzen Animations- und Dokumentarfilmen bestehen. Die Süddeutsche scherzt in einem Artikel über Artes Erfolg: „Sie [Arte] haben mittlerweile so viele Goldene Palmen gewonnen, dass man damit den ganzen Mainzer Lerchenberg bepflanzen könnte“.
Zu wenig Regisseurinnen im Programm?
Doch ein öffentlich-rechtlicher Sender ganz ohne Negativschlagzeilen? Zugegeben, man muss danach suchen. Arte versucht, mit seinem Programm und seinem Auftreten stets den Puls der Zeit zu treffen. Während das meistens gut funktioniert, schoss der Sender in den Augen einiger Regisseurinnen im Oktober des Jubiläumsjahrs ein Stück über das Ziel hinaus. Ein Sendeplatz von 52 Minuten wurde unter dem Motto „Regisseurin gesucht – Unbeschreiblich weiblich“ ausgeschrieben – und brachte Arte erstmals größere Kritik ein.
Das Netzwerk #wirwarenimmerda bemängelte, dass Arte mit solchen Ausschreibungen das strukturelle Problem der fehlenden Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Frauen nicht löse. Stattdessen werde die Problematik des Gendergaps nur noch mehr durch eine entstehende Konkurrenz verstärkt. Stattdessen forderten die Initiator*innen vom deutsch-französischen Fernsehsender, dass ein Strukturwandel angestoßen werden solle, damit Frauen zu gleichen Teilen wie männliche Kollegen im Programm vertreten werden.
Die daraus entstandene Debatte zeigt: Fehlende Gleichberechtigung ist zweifelsfrei kein exklusives Arte-Problem, vielmehr die Konsequenz der strukturellen Benachteiligung von Frauen in der gesamten Gesellschaft. Wenn Arte sich der Aufforderung des Netzwerks jedoch annimmt und sich und sein Programm weiblicher gestaltet, könnte der Sender ein Exempel für die deutsche Fernsehlandschaft statuieren und darüber hinaus seine Vorreiterrolle in Sachen Progressivität ausbauen.
„Arte ist neben Interrail und Erasmus die wohl sinnvollste, schönste europäische Erfindung“
Was bleibt nach 30 Jahren Arte? Ein kultureller deutsch-französischer Grundgedanke, der sich trotz anfänglicher Schwierigkeiten, zu einem crossmedialen, vorwärtsgewandten und europäischen Sender ausgebaut hat. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu, dass „Arte neben Interrail und Erasmus wohl die sinnvollste, schönste europäische Erfindung“ sei. Da inzwischen das Repertoire weit über die Ländergrenzen von Deutschland und Frankreich und über das Deutsch- und Französischsein hinausgeht, kann man auch während einer Pandemie sein Fernweh durch zahlreiche Dokumentationen auf höchstem Niveau stillen.
Hier der Link zu einem 15-minütigen Zusammenschnitt zu 30 Jahren Arte –>