Geben wir es zu: Im Vergleich zu anderen Unis in Deutschland sticht die JGU vielleicht nicht unbedingt durch bauliche Schönheit hervor. Wo man in Heidelberg staunend altehrwürdige Bibliotheken durchschreitet, hält man in Mainz lieber die Luft an. Schließlich will man das SB II doch gerne ohne Asbest in der Lunge wieder verlassen. Doch auch die oftmals verschmähten Gebäude der Mainzer Uni haben ihre Qualitäten, die wir hier auf einem architektonischen Streifzug vorstellen.
Back to the Roots
Beginnen wollen wir mit dem bereits erwähnten SB II, das alleine schon aus historischen Gründen für die Mainzer Publizistik von höchster Relevanz ist. Bis 2014 war es nämlich die Heimat des IfP, bevor dieses ins neue Georg-Forster-Gebäude umzog. „Einfachheit ist der Schlüssel jeder wahren Eleganz“, sagte die berühmte Modedesignerin Coco Chanel einst. Dieses Mantra haben sich wohl auch die Architekten des SB II wahrlich zu Herzen genommen und konsequent auf alles verzichtet, was vom rohen Beton ihrer Kreation hätte ablenken können. Und so strahlt das Gebäude eindeutig die gleiche schlichte Eleganz aus, wie das „kleine Schwarze“ der Vordenkerin Chanel. Betört von der Brutalität des beigen Betons findet der Besucher des SB II auch im Inneren des Gebäudes eine schonungslose Reduktion auf das Wesentliche vor. Würde sich der Satz „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ in einem Gebäude manifestieren, so müsste es ohne Zweifel das SB II sein. Die Mischung aus grauen Wänden und staubigen Topfpflanzen erzeugt eine derart trostlose Atmosphäre, wie man sie sonst nur in der Personalabteilung einer untergeordneten Landesbehörde antreffen kann. Aber der Plan geht auf: Vergnügen ist hier definitiv ausgeschlossen, so dass man sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren kann. Als Instrument zur Leistungssteigerung stellt die Architektur hier selbst Kokain in den Schatten.
A New Hope
Ganz im Gegensatz zum betagten SB II steht das GFG, das neue Hauptquartier der Mainzer Publizisten. Eröffnet im Jahr 2014, zeichnet sich der Neubau selbstredend durch verschiedenste Innovationen aus. Da wäre zum Beispiel die Fassade: Sie ist mit ihrem hellen grün nicht nur ein absoluter Blickfänger, nein, sie gestaltet sich selbstständig dynamisch um! In anderen Worten: Die Platten der Verkleidung fallen ab. Der Betrachter kann daher das GFG immer wieder neu erleben, wenn Teile der Fassade wieder mal dem Ruf von Mutter Erde gefolgt sind. Bonus für Studierende: Es besteht immer die Chance, dass eine plötzlich herabstürzende Platte vor dem Besuch eines ungeliebten Seminars bewahrt. Toll! Doch da hören die Innovationen noch nicht auf. Um eine plötzliche Flucht der Studierenden aus öden Veranstaltungen zu verhindern, verfügt das GFG über ein ausgeklügeltes System. Durch die Lüftungsanlage entsteht bisweilen ein solcher Unterdruck in den Seminarräumen, dass sich die Türen zum Flur kaum noch öffnen lassen. Clever! Blickt man sich einmal in einem der unentrinnbaren Räume um, so fällt eine weitere Spezialität des Hauses ins Auge: die Möblierung. Bei genauerer Betrachtung drängt sich der Eindruck auf, man habe Rainer Calmund damit beauftragt, die Stühle zu kaufen, während sich Peter Dinklage um die Tische gekümmert hat. Das Resultat sind sich verhakende Tisch- und Stuhlbeine, ungewollter Körperkontakt und fluchende Studierende. Hat man einen Raum erwischt, der sich nicht durch einen bunt flackernden Disko-Beamer auszeichnet, der den PVC-Boden in den heißesten Dancefloor der Stadt verwandelt, wandert der Blick vielleicht zur Decke. Dort baumeln in geschmackvollem mintgrün gehaltene Klötze, deren Beschaffenheit Generationen von Forschern noch ein Rätsel bleiben wird. Man munkelt, dass hier die unzureichenden Hausarbeiten der Publizistikstudierenden ein zweites Leben bekommen haben.
These – Antithese – Synthese
Und last but not least: das Philisophicum. “The place beyond the P1”, wie es lange an einer Wand des Gebäudes stand. Das Philosophicum ist nicht nur der Nachbar des GFG, sondern auch Lern- und Aufenthaltsort für viele Publizisten. Seine Bibliothek ein Refugium, wenn die des GFG mal wieder durch Juristen und Mediziner okkupiert wurde. Es ist gewissermaßen ein guter Freund, der zwar immer etwas ungepflegt aussieht, auf den man sich aber im Zweifelsfall verlassen kann. Das Philosophicum ist allerdings auch am Puls der Zeit. Durch die Kombination bröselnder Ziegelwände und vergilbter Kacheln vereint das Gebäude zwei ganz heiße Trends. Den edgy „Industrial Look“ mit dem hippen „Shabby Chic“. Ganz allgemein steht das Philosophicum, wie es sich für ein Gebäude dieses Namens ziemt, in der Tradition der Hegelschen Dialektik: These – Antithese – Synthese. Es bringt das zusammen, was nicht zusammengehört und schafft so etwas völlig Neues. Das zeigt sich auch in der Gestaltung des Innenhofs. Die strenge Geometrie der verwitterten Waschbetonquader erinnert an die klassischen Formen englischer Barockgärten, die spielend mit der wild wuchernden Ungepflegtheit einer aufgegebenen Brache kombiniert werden. Ein wahres Meisterwerk des Gartenbaus, das zum Verweilen und Tagträumen einlädt.
Ein Herz für Brutalismus
Aber mal ganz ehrlich: Bei aller berechtigten Kritik an der Campus-Architektur gibt es eigentlich keinen Grund, polemisch zu werden. Ja, die Bauten dieser Zeit haben es schwer, in Würde zu altern. Das liegt zum Beispiel daran, dass man über das Material Beton noch nicht so viel wusste, wie wir das heute tun. Auch mussten die Gebäude teilweise in wenig Zeit und mit wenig Geld realisiert werden, so dass man Kompromisse eingehen musste. Trotzdem zeichnen sie sich durch eine ganz eigene Ästhetik aus, die anziehend wirkt. Der brutalistische Baustil, in dem etwa das SB II errichtet wurde, hat eine besondere Klarheit und Stärke in seiner Formensprache. Diese Gebäude sind auch ein Teil unserer kollektiven Geschichte, nicht nur als Universität, sondern auch als Land. Sie sind Ausdruck eines Neuanfangs aus den Trümmern. Natürlich war der nicht perfekt, natürlich hatte der seine hässliche Seite. Aber er hat uns weitergebracht als Gesellschaft. Und genau diese Entwicklung konnte nur in euch, in den Gebäuden stattfinden, die wir heute mitunter als „hässliche Betonklötze“ belächeln. Dafür möchte ich euch danken, denn ihr wart immer da. Und auch wenn es unaufhaltsam sein wird, dass nach und nach immer weniger von euch stehen werden, so sage ich doch: Ihr werdet mir fehlen.