Ist Neon nicht mehr „lit“ genug?

Am 18. April 2018 gab Chefredakteurin Ruth Fend auf stern.de bekannt, dass die Zeitschrift Neon nach dem 18. Juni 2018 eingestellt wird. Der Grund: Ein zu starker Rückgang der Auflage. Die Botschaft sorgt bei vielen für Herzbluten, denn das Magazin ist in gewisser Weise ein Stück weit Avantgarde des Magazinjournalismus und war Begleiter vieler Studenten ins Erwachsenwerden – ein Nachruf.

Von Saskia Bender

Sie steckte stets im Rucksack, lag zwischen Kleiderbergen oder auf den Klos zahlreicher Wohngemeinschaften: Die Neon, eine Zeitschrift voll Popkultur und Lebensgefühl. Begleitet hat sie uns, durch unsere ganz eigene wilde Welt geprägt von jugendlicher Unbeschwertheit und Offenheit für das Leben. Ein Leben in Neon-Farben eben, seien es unsere Outfits, die es von den Neunzigern bis über die Jahrtausendwende geschafft haben oder lange ausgiebige Partynächte, von denen man am nächsten Morgen nichts mehr übrig hatte als ausgeblichene Plastikknickarmreifen und einen Kater. Aber es war uns egal, denn was zählte war das Gefühl im Moment, sorgenfrei ohne Blick auf Morgen – genau eben das, was die Neon und ihre Zielgruppe ausmachte.

Nach fast genau fünfzehn Jahren ist es nun an der Zeit, unserem Begleiter, Ratgeber und Wegweiser Lebewohl zu sagen. In der Neon haben wir es miteinander geteilt: das ganz eigene Gefühl von Freiheit. Vielleicht ein bisschen rebellisch, als (Farb-)Kontrast zum Spießerleben der Eltern. Dabei sind wir doch noch gar nicht fertig – der Großteil der Bilderrätsel, der damals schon unlösbar war, ist bis heute noch nach verrücktesten Gedankengängen nicht vervollständigt und erwachsen sind wir doch auch noch lange nicht – oder? Irgendwie sind wir nun ein bisschen aufgeschmissen. Jeder Leser, der sich mit diesen Zeilen assoziieren kann wird nun wahrscheinlich den inneren Drang verspüren, sich auf’s Fahrrad zu schwingen zum nächsten Kiosk zu radeln um ein Exemplar der allerletzten Ausgabe zu ergattern. Wer soll uns künftig unsere Fragen zum Mysterium Liebe, dem Erfolgsrezept zum Glücklichsein und den Tücken des Erwachsenwerdens beantworten? Und woher sollen wir jetzt wissen was man gerade so auf den Straßen Berlins trägt, welcher Job zu uns passt und wie man mit dem Berufsalltag fertig wird?

Pippi, Peter Pan und das Erwachsenwerden

Neon war Pippi und Peter Pan zugleich. Frech und ungezähmt – ohne Eltern und trotzdem voller Tatendrang und Selbstsicherheit, es mit dem Leben aufzunehmen.

Sind wir einfach zu alt geworden? Hat es eine Bedeutung, dass dieser Artikel in der Vergangenheit geschrieben wird? Zu alt für Neon und unnützes Wissen? Ist die Generation Neon nun die Generation Nido, die nun lieber über das Glück einer häuslich jungen Familie liest, als über verstrickte Liebesbeziehungen und zwischenmenschliche Probleme von Generationen und Bevölkerungsgruppen? Vielleicht.

Fakt ist, dass sich die Auflage der 2003 erstmals erschienen Zeitschrift seit 2011 im Sinkflug befindet. Um fast drei Viertel um genau zu sein. Verkauften sich im Jahre 2009 noch über 237 000 Exemplare pro Monat, so kündigt Gruner + Jahr für das erste Quartal 2018 gerade einmal 58 000 Exemplare monatlich an. „Die Frage, wie lange so ein auf einen bestimmten Zeitgeist hin entwickeltes Magazin würde Erfolg haben können, begleitet das Projekt seit beinahe zehn Jahren“ lauten die Worte des Verlags.

„Für junge Leserinnen und Leser, die schon lange volljährig sind, aber ihre jugendliche Unbeschwertheit bewahren wollen“ – Herausgeber Andreas Petzhold

Das Erfolgskonzept von 2003 zeigte sich dabei besonders in den Anfängen als äußerst erfolgreich. Rasant avancierte die Zeitschrift der Stern-Familie geradezu zum Leitmedium der Twens und auch dem ein oder anderen jung gebliebenen Ü30.

Timm Klotzek (Gründer und ehemaliger Chefredakteur von Neon wie auch Nido; mittlerweile Chefredakteur des SZ-Magazins) und Michael Ebert (Co-Gründer und ebenfalls ehemaliger Chefredakteur von Neon und Nido; nun auch Chefredakteur SZ-Magazin) hatten es geschafft, ein Konzept zu entwickeln, das es trotz Medienkrise schaffte, schwarze Zahlen zu schreiben. Vom Medium Magazin wurden die beiden unter anderem deshalb 2006 zu Journalisten des Jahres ausgezeichnet. Und damit war es an Auszeichnungen nicht genug: im selben Jahr wird die Neon zum Leadmagazin des Jahres ernannt, da sie „souverän, mutig, lässig und selbstbewusst“ ist.

Das Instagram vor Instagram

Stimmen im Netz sprechen davon, dass Neon das Instagram einer Generation war, bevor es Instagram überhaupt gab. Ein junges, kreatives Konzept – nicht bestimmt für die Elterngeneration. Ein eigenes Medium für die Generation der Millennials, dass in mit gewissen publizistischen Formaten wie dem Tindergarten schaffte, die Leser selbst in den Fokus des Magazin zu katapultieren und damit Nähe und Interaktion ermöglichte. Womöglich ist es dem digitalen Wandel zu verantworten, das die Leserschaft nun ins Netz und zu Sozialen Medien abwandert. Denn hier ist es der Neon-Zielgruppe möglich, sich noch schneller und besser in Schrift und (Bewegt-)Bild auszutauschen und auszudrücken. Das Digitale ist Teil der Identifikation unserer Generation geworden. Trotz der engen Leserbeziehung des Magazins, war es kaum möglich, neue Leser zu gewinnen, da immer mehr von der Wilden Welt in die digitale Welt abwanderten.  „Die Einstellung von Neon ist das Ergebnis von jahrelangem verlegerischen Missmanagement“ twitterte der ehemalige Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann. Weiter führt er dieses Statement allerdings nicht aus.

Der Printversion geht das Neon-Licht aus

Nach mehreren erfolglosen Umstrukturierungen sowohl personell als auch inhaltlich, stellt Gruner + Jahr das Magazin also nun in der Printversion ein. Am 18. Juni 2018 erschien die letzte gedruckte Ausgabe. “Mach Schluss” lautet ihr Titel der unter den goldenen Neon-Buchstaben – die uns uns selbst in die Augen blicken lassen – prangert. Wer nun denkt, dass die Neon-Existenz wie eine Hubba Bubba-Blase platzt, liegt allerdings falsch: „Neon lebt!“ schreibt Chefredakteurin Fend. Mit einer eigenen Sparte auf Stern Digital wird die Neon versuchen, ihre Existenz enger dem digitalen Zeitalter anpassen und dort weiterhin leuchtende Beiträge unter den Rubriken „Wilde Welt“, „Herz“ und „Feierabend“ zu veröffentlichen. Auch soll das digitale Angebot auf Social Media-Plattformen weiter ausgebaut werden. Und der Erfolg scheint zumindest Online auch anzuhalten: Laut Gruner + Jahr erreicht Neon Online über eine Million Unique User. Damit positioniert sich das Lifestyle-Magazin hinter Bento.de aber vor Ze.tt und Jetzt.de. Ob das Neon-Image mit der Zeit auch online verblasst und die Blase den Geschmack verliert, wird sich also zukünftig zeigen.

In einem Brief vom 18. April 2018 verabschiedet Ruth Fend sich im Namen der Redaktion auf der Website des Sterns von ihren Lesern. Sie schreibt: „Wir würden wahnsinnig gerne weiter ein Heft für euch machen, mit all der Leidenschaft, mit der wir es noch immer jeden Monat tun. Aber ihr seid zu wenige geworden. Denjenigen, die sich verabschiedet haben, sind nicht genügend Jüngere gefolgt“.

Farbe bekennen

Wer ein letztes Mal (Neon-)Farbe bekennen wollte, der konnte dies in der letzten Ausgabe tun. Mit dem Hashtag #ichbinneon wurden besondere Geschichten, Gedanken und Gefühle, die mit der Zeitschrift verbunden werden, in der finalen Printausgabe geteilt.

Trotzdem werden wir dich vermissen, liebe Neon, im Zug zu unseren Liebsten, auf langen Reisen, im Wartezimmer oder bei grauen Regentagen unter der Bettdecke, wenn wir mal wieder nicht genau wissen, wer wir sind und wo wir einmal hinwollen im Leben. In diesem Sinne bleibt nur noch eins zu sagen: #wirsindneon #stayneon.


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